Titel

AG Dannenberg (Elbe), Beschluss vom 04.01.2008, Az. 39 XIV 58/06 L
Rechtswidriger Gewahrsam von Rechtsanwälten während der Ausübung ihrer anwaltlichen Tätigkeit

 


Zitiervorschlag: AG Dannenberg (Elbe), Beschluss vom 04.01.2008, Az. 39 XIV 58/06 L, zitiert nach POR-RAV


Gericht:

Aktenzeichen:

Datum:


Teaser

Das Amtsgericht Dannenberg hatte über eine Ingewahrsamnahme von zwei Rechtsanwälten zu entscheiden, die versucht hatten im Rahmen ihrer anwaltlichen Tätigkeit , zu angeketteten Mandanten zu gelangen.

Leitsatz

1. Ein Platzverweis erledigt sich mit der zwangsweisen Verbringung vom Ort des Geschehens. Er kann danach nicht als Begründung für einen Gewahrsam gem. § 18 Abs. 1 Nr. 3 NdsSOG herangezogen werden. 2. Rechtsanwälten in Ausübung ihrer Tätigkeit die Freiheit zu entziehen ist unverhältnismäßig, und zwar gerade auch im Hinblick auf die ausübende anwaltliche Tätigkeit des Betroffenen, die dieser eben nicht als "Deckmantel" für Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten ausgenutzt hat.

Volltext

TENOR:

Es wird festgestellt, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen am 12. November 2006 rechtswidrig war. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Die weitere Beteiligte hat die notwendigen Kosten des Betroffenen zu tragen. Der Geschäftswert wird auf 3.000 Euro festgesetzt.

GRÜNDE:

I. Der Betroffene wendet sich gegen seine gefahrenabwehrrechtliche Gewahrsamnahme am 12. November 2006 gegen 23.00 Uhr in Langendorf im Landkreis Lüchow-Dannenberg anlässlich des Castortransportes 2006. Der Betroffene ist Rechtsanwalt. Im Rahmen des Castortransportes 2006 bildete er mit anderen Kolleginnen und Kollegen, unter anderem auch zusammen mit dem ebenfalls betroffenen Rechtsanwalt Z, einen anwaltlichen Notdienst, der im Rahmen des unmittelbar bevorstehenden Castortransportes in das atomare Zwischenlager Gorleben bereitstand, um Demonstranten, gegebenenfalls auch Blockadeteilnehmer, anwaltlich zu beraten und zu begleiten. In der Ortschaft Langendorf auf der planmäßigen Straßentransportstrecke für den Castorstraßentransport kam es am späten Abend des 12 November 2006 - der Zug mit den Castortransportbehältern hatte den Bahnhof Dannenberg-Ost am Nachmittag des selben Tages erreicht - zu einer Straßenblockade mittels einer Betonpyramide, an welche sich mehrere Castorgegner angekettet hatten. Der Betroffene begab sich zusammen mit seinem Kollegen zum Ort des Geschehens. Er wollte zu den Blockierern, um anwaltlichen Beistand zu leisten Die Polizei wollte die Blockade mit technischem Gerät (Schlagbohrhammer etc..) beenden Der Betroffene wollte vor Ort bei seinem Mandanten, einem der Blockadeteilnehmer an der Betonpyramide, bleiben. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung mit dem örtlichen Polizeieinsatzleiter. Der Betroffene wurde mit seinem Kollegen hinter eine Absperrung zu einem Gefangenentransportwagen geführt Streitig ist, ob der Betroffene von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde oder bloß hinter die Absperrung verbracht worden ist. Der Betroffene behauptet, dass er und sein Kollege ca. 20 Minuten am Gefangenentransportwagen festgehalten worden seien.

Der Betroffene beantragt, festzustellen, dass seine Gewahrsamnahme am 12.. November 2006 gegen 22.30 Uhr in Langendorf rechtswidrig war.

Die weitere Beteiligte beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie behauptet, dass der Betroffene gar nicht in Gewahrsam genommen worden sei, sondern nur zur Vollziehung eines Platzverweises gegen 23.00 Uhr am 12 November 2006 hinter eine Absperrung geführt worden sei Weitere Maßnahmen seien nicht erforderlich gewesen.

Das Gericht hat den Betroffenen und seinen betroffene Kollegen persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Anhörungsprotokoll vom 9 Juli 2007, BI. 65 - 68 d A., - berichtigt durch Beschluss vom 4. Januar 2008, BI. 107 d.A., - Bezug genommen. Die von der weiteren Beteiligten zur Verfügung gestellten DVD's wurden in Augenschein genommen Sie wurden während der Anhörung des Betroffenen und seines Kollegen abgespielt. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die wechselseitigen Schreiben und Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Antrag des Betroffenen ist als zulässiger Antrag auf nachträgliche Überprüfung der Freiheitsentziehung nach § 19 Abs. 2 des Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Nds SOG) auszulegen.

Der Antrag des Betroffenen hat Erfolg.

1. Nach der Anhörung des Betroffenen und der in Augenscheinnahme der DVD's ist das Gericht davon überzeugt, dass der Betroffene am 12. November 2006 gegen 23.00 Uhr in Langendorf im Landkreis Lüchow-Dannenberg tatsächlich in polizeilichen Gewahrsam genommen worden ist. Das Verhalten der Polizei wäre nur dann als bloße Vollziehung eines Platzverweises durch unmittelbaren Zwang bzw. Androhung desselben zu werten gewesen, wenn der Betroffene lediglich hinter die vorhandene Absperrung einige Meter entfernt von der Betonpyramide geführt worden wäre. Dies war aber nicht der Fall. Der Betroffene hat glaubhaft und glaubwürdig erklärt, dass er insgesamt für ca. 20 Minuten von der Polizei festgehalten worden sei. Seine Angaben werden durch die vorhandenen Filmsequenzen auf den DVD's bestätigt. Darauf ist zu sehen, wie der Betroffene an einem Transportfahrzeug der Polizei stehend von Polizeibeamten begleitet wird. Er kann sich nicht ohne weiteres entfernen. Das Gericht hat auch keine Zweifel an den Angaben des Betroffenen, wonach dieser Zustand für ca. 20 Minuten andauerte.

2. Die Freiheitsentziehung des Betroffenen war rechtswidrig. Es kann hier dahinstehen, ob der von der Polizei erteilte Platzverweis rechtmäßig war und gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 Nds.SOG durch Gewahrsamnahme durchgesetzt werden konnte Die hier im amtsgerichtlichen Verfahren nach § 19 Abs. 2 Nds.SOG zu überprüfende Freiheitsentziehung begann nach der Vollziehung des Platzverweises - der auch Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg - Az.. 3 A 58/07 des Verwaltungsgerichts Lüneburg - ist -, als der Betroffene den von der Polizei "erlaubten Bereich" hinter der Absperrung erreicht hatte. In diesem Augenblick jedenfalls lagen die Voraussetzungen des § 18 Abs 1 Nr. 3 Nds.SOG nicht vor, der Platzverweis war mittels unmittelbaren Zwanges bzw. Androhung desselben umgesetzt worden. Die darüber hinausgehende Freiheitsentziehung war bereits deshalb rechtswidrig, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Nds.SOG nicht vorlagen. Mit der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten seitens des Betroffenen war - auch aus ex-ante Sicht - nicht zu rechnen. Eine darüber hinausgehende Freiheitsentziehung war auch unverhältnismäßig, und zwar gerade auch im Hinblick auf die ausübende anwaltliche Tätigkeit des Betroffenen, die dieser eben nicht als "Deckmantel" für Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten ausgenutzt hat.

Die Kostenentscheidungen folgen aus § 2 Nr. 1 KostO, § 11 Abs 1 KostO und § 13 a Abs. 1 FGG. Im vorliegenden Fall entsprach der Billigkeit, der weiteren Beteiligten die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen aufzuerlegen, da die weitere Beteiligte letztlich für die rechtswidrige Ingewahrsamnahme des Betroffenen verantwortlich war.

Kommentar

Die Entscheidung hat trotz ihrer Kürze große Bedeutung für die Ausübung des anwaltlichen Berufs bei Demonstrationen vor Ort, indem klargestellt wird, dass Anwälte und Anwältinnen in Ausübung ihrer Tätigkeit nicht als Störer angesehen werden dürfen.

Über die Frage, ob ihnen Platzverweise erteilt werden können, die den Bereich umfassen, in denen sich ihre (angeketteten) Mandanten und Mandantinnen befinden, wird das Verwaltungsgericht Lüneburg noch entscheiden werden.