Titel

Hamburgisches OVG, Urteil vom 12.01.2007, Az. 1 U 85/06
Schmerzensgeld für rechtswidrigen Gewahrsam

 


Zitiervorschlag: Hamburgisches OVG, Urteil vom 12.01.2007, Az. 1 U 85/06, zitiert nach POR-RAV


Teaser

Schmerzensgeld i.H.v. 500,- € für 6-stündige Freiheitsentziehung. Das Hamburgische Oberlandesgericht hatte über die Schadensersatzklage einer Passantin zu entscheiden, die in einen Polizeikessel geraten war. Das Gericht setzt sich in aller Ausführlichkeit mit den polizeirechtlichen Voraussetzungen der Freiheitsentziehung auseinander und verneint diese auch für die übrigen Teilnehmer/innen. Außerdem stellt es fest, dass rechtswidrige polizeiliche Freiheitsentziehungen einen Schmerzensgeldanspruch nach sich ziehen.

Leitsatz

1. Rechtswidrige Freiheitsentziehungen durch die Polizei ziehen gem. § 253 Abs. 2 BGB einen Schmerzensgeldanspruch nach sich. Die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes kann durch das Anerkenntnis des rechtswidrigen Polizeihandelns gemindert werden. 2. Wegen de einheitlichen Lebensvorganges ist für die rechtswidrige Freiheitsentziehung und die rechtswidrige Behandlung während der Freiheitsentziehung der Schadensersatz- bzw. Entschädigungsbetrag in einer Summe festzusetzen. 3. Für eine 6-stündige rechtswidrige Freiheitsentziehung und eine 3 1/3-stündige rechtswidrige Fesselung ist ein Entschädigungsbetrag von 500 € angemessen.

Volltext

TENOR:

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung ihres weiter gehenden Rechtsmittels das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivil-kammer 3, vom 30. Juni 2006 (Geschäfts-Nr. 303 0 669/05), abge¬ändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 350,00 zu zahlen, Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 93 % und die Beklagte 7 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

GRÜNDE:

Die Klägerin begehrt die Zahlung eines Schmerzensgelds zum Ausgleich von Beeinträchti¬gungen ihrer Freiheit und Gesundheit sowie eine Geldentschädigung zum Ausgleich von Beeinträchtigungen ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts wegen Amtspflichtverletzungen im Zusammenhang mit Maßnahmen der Polizei aus Anlass einer Demonstration.

Im Zusammenhang mit einem für Sonnabend, den 21. Dezember 2002 angemeldeten Auf¬zug verschiedener Veranstalter unter dem Motto „Gegen Rechtspopulismus, Ausgrenzung und Vertreibung, die Regierung stürzen!“, der entsprechend einer gerichtlich bestätigten Auf¬lage nicht durch die Innenstadt führen sollte, kam es in Hamburg zu einem polizeilichen Großeinsatz. Am Nachmittag dieses Tages begab sich die Klägerin, die Rechtsanwältin, ver¬heiratet und Mutter zweier damals 12 und 13 Jahre alter Söhne ist, mit ihrem Fahrrad in die Hamburger Innenstadt, um Besorgungen für das bevorstehende Weihnachtsfest zu erledi¬gen. Nachdem sie einige Einkäufe getätigt hatte, stellte sie fest, dass sich insbesondere auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz Menschen in kleineren Gruppen zusammen gefunden hatten, die für Bauwagenbewohner und gegen den damaligen Innensenator Schill sowie gegen den Polizeieinsatz demonstrierten. Entlang dem Gerhart-Hauptmann-Platz und quer über die Mönckebergstraße zogen sich zwei Polizeiketten zusammen. Als sich die Klägerin den Poli¬zeiketten näherte, um herauszufinden, was sich dahinter abspielte, wurde sie von einem der Polizisten durch die Absperrung geschoben. Nachdem sie erläutert hatte, dass sie lediglich Einkäufe getätigt habe, gestattete ihr ein anderer Polizist, den „Kessel“ wieder zu verlassen. Als sie sich - bereits außerhalb der Absperrung - noch einmal umdrehte und erklärte, sie fände das Vorgehen der Polizei nicht in Ordnung, packte sie der zuletzt mit ihr befasste Polizist und schob sie in den Bereich der Absperrung zurück. Erneute Versuche der Klägerin, die Polizeikette zu passieren, scheiterten.

Gegen 17.00 Uhr verkündete die Polizei per Lautsprecher, dass die eingekesselten Perso¬nen in Gewahrsam genommen seien. Kurz zuvor hatte die Klägerin auf ihrem Handy einen Telefonanruf ihres 12-jährigen Sohnes erhalten, der wissen wollte, wann sie nach Hause komme. Die Klägerin bat um Unterrichtung ihres Ehemannes, der umgehend zurückrief und dem sie ihre Situation schilderte.

Auf ihre Frage nach der besten Möglichkeit, möglichst schnell nach Hause zurückkehren zu können, riet ein Polizeibeamter der Klägerin, dass sie sich freiwillig abführen lassen solle. Daraufhin nahm sie es hin, dass zwei Polizisten sie zu einem in einer Parallelstraße abgestellten HVV-Bus brachten. Dort wies sie sich auf Aufforderung aus, ließ sich fotografieren, leerte ihre Jackentaschen aus und übergab einem Polizisten u.a. ihr Handy, Portemonnaie und Schlüsselbund. Zudem nahm ihr ein Polizist ihren die Weihnachtseinkäufe nebst Quittungen enthaltenden Rucksack ab, durchsuchte und behielt diesen. Anschließend sollten ihre Hände hinter ihrem Rücken gefesselt werden. Als die Klägerin protestierte wurde ihr die Anwendung körperlicher Gewalt angedroht. Deshalb ließ sie die Fesselung geschehen und setzte sich einer polizeilichen Anordnung entsprechend in eine der letzten Reihen des Busses. In der folgenden halben Stunde füllte sich das Fahrzeug, bis es schließlich mit ca. dreißig bis vierzig Gefesselten und fünf bis sechs Polizisten voll besetzt war. Daraufhin setzte sich der Bus, begleitet von insgesamt fünf p0ljzeifahrzeUgen mit Blaulicht und zeitweise tönendem Martinshorn, in Bewegung, und zwar zunächst zur Polizeiwache in Wandsbek, in die ein Teil der Gefesselten geführt wurde. Nach einem Aufenthalt von ca. einer halben Stunde fuhr der Bus zur Polizeiwache in Tonndorf weiter. Während der Fahrt teilte die Klägerin einem der Polizisten erneut mit, dass sie lediglich als Unbeteiligte in den Polizeikessel hinein gescho¬ben worden sei. Daraufhin wurde ihr Gelegenheit gegeben, mit ihrem Handy zu Hause anzu¬rufen, ohne dass sie dabei jedoch von ihren Fesseln befreit wurde. Nachdem weitere in Ge¬wahrsam Genommene bei den Polizeiwachen in Rahlstedt und Poppenbüttel abgesetzt worden waren, erreichte der Bus mit der Klägerin gegen 21.20 Uhr die Polizeiwache in Langenhorn. Dort wurden ihr ein Apfel und Mineralwasser gereicht und ihr ermöglicht, Strafanzeige zu erstatten. Anschließend wurde sie, ebenso wie die übrigen in Gewahrsam Genommenen, einzeln in eine Zelle gebracht. Von dort aus wurde sie gegen 23.00 Uhr nach Hause entlassen.

Um die Rechtswidrigkeit der ihr gegenüber ergriffenen polizeilichen Maßnahmen feststellen zu lassen, strengte die Klägerin ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Hamburg an, das unter der Geschäftsnummer 5 K 320/03 geführt wurde. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Klagschrift vom 20. Januar 2003 (Anlage K 3), die Erwiderung der Beklagten vom 8. Mai 2003 (Anlage B 5) und den Schriftsatz der Klägerin vom 9. Juli 2003 (BI. 37 ff. dA.) ver¬wiesen. Mit Schriftsatz vom 3. November 2003 (Anlage B 2) erklärte die Beklagte - auch unter Berücksichtigung der Beweissituation im konkreten Fall -‚ dass die unter Ziff. 1 der Klageschrift vom 20. Januar 2003 angesprochenen polizeilichen Maßnahmen rechtswidrig gewesen seien. Daraufhin erließ das Verwaltungsgericht Hamburg am 24. Februar 2004 ein Anerkenntnisurteil (Anlage B 3), das auszugsweise wie folgt lautet:

Im Übrigen wird festgestellt, dass die folgenden am 21. Dezember 2002 gegenüber der Klägerin ergriffenen polizeilichen Maßnahmen rechtswidrig waren:

a) die Klägerin wurde durch eine von Polizeibeamten gebildete Polizeikette in einen Kessel hineingeschoben,

b) die Klägerin wurde zusammen mit anderen Personen durch Polizeibeamte in ei¬nem Polizeikessel festgehalten, d.h. durch Drohung mit der Anwendung unmittelbaren Zwanges am Verlassen eines Teils der Mönckebergstraße gehindert,

c) die Klägerin wurde gegen 17.15 Uhr in Gewahrsam genommen und bis gegen

23.00 Uhr in Gewahrsam gehalten,

d) die Personalien der Klägerin wurden festgehalten, sie wurde fotografiert,

e) die Klägerin und der von ihr mitgeführte Rucksack wurden durchsucht,

f) die Klägerin wurde mit den Händen auf dem Rücken gefesselt,

g) die Klägerin wurde von etwa 18.00 Uhr bis 21.20 Uhr gefesselt in einem Bus kreuz und quer durch Hamburg gefahren,

h) die Klägerin wurde danach in der Polizeiwache Langenhorn bis 23.00 Uhr in einer Polizeizelle eingesperrt.

Die von der Klägerin erstattete Strafanzeige richtete sich gegen den Leitenden Polizeidirektor Lehmann und andere wegen Verfolgung Unschuldiger, Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung. Das Ermittlungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen 7300 Js 533/03 bei der Staatsanwaltschaft Hamburg geführt. Mit Bescheid vom 17. August 2005 (Anlage B4) stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Zur Begründung heißt es dort, dass die Vollstreckung des Polizeigewahrsams gegen die Klägerin und die Fesselung zwar mindestens die objektiven Tatbestände der Freiheitsberaubung und der Körperverletzung im Amt erfüllten, jedoch nicht festgestellt werde könne, weIche Polizisten hierfür verantwortlich gewesen seien. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin wurde mit Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg vom 30. April 2006 zurückgewiesen (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 16. Mai 2006, BI. 60 if. d.A.). Mit Antrag vom 12. Juni 2006 leitete die Klägerin das Klageerzwingungsverfahren vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht ein. Dieses Verfahren wurde durch Beschluss des 3. Strafsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 17. August 2006 (Anlage K 5) auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft (Anlage K 4) ausgesetzt, um das Ergebnis weiterer Ermittlungen abzuwarten, die ausweislich eines Vermerks der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 19. November 2006 (Bl. 167 ff. d.A.) noch andauern.

Mit Anwaltsschreiben vom 21. November 2005 erhob die Klägerin Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen durch die polizeilichen Maßnahmen begangener Amtspflichtverletzungen gegen die Beklagte. In dem Antwortschreiben der Beklagten vom 13. Dezember 2005 (Anlage B 1) heißt es:

Die Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die Behörde für lnneres, Polizei, räumt ein, dass Ihre Mandantin infolge schuldhafter Amtspflichtverletzung in den von Ihnen angesprochenen Rechten verletzt worden ist.

Um den Vorgang gleichwohl voranzubringen und abzuschließen, verzichte ich an dieser Stelle darauf, Ihre wertenden Ausführungen zu den Ereignissen am fraglichen Tage näher zu kommentieren oder zu bestreiten. Dasselbe gilt für Ihre Behauptung, nach der Ihre Mandantin bis heute unter den seelischen Nachwirkungen Ihrer Erfahrungen mit der Hamburgischen Polizei leide. Stattdessen teile ich Ihnen mit, dass ich heute veranlasst habe, dass € 150,00 zugunsten Ihrer Mandantin auf Ihr Konto bei der HASPA überwiesen werden.

Die angekündigte Zahlung ging bei der Beklagten ein.

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung mindestens wei¬terer € 4.850,00 geltend.

Sie trägt vor, dass sie erhebliche Verletzungen ihrer Freiheit und ihrer körperlichen Integrität habe hinnehmen müssen. Dass ein Polizeibeamter sie aus persönlicher Verärgerung über ihre kritische Äußerung in den Kessel gestoßen habe, stelle einen Akt abstoßender Polizeiwillkür dar. Die durch keinerlei Polizeigefahr gerechtfertigte erste Durchsuchung auf offener Straße habe sie als besonders demütigend empfunden. Dabei habe sie auch Taschentücher und ihre Brille weggeben müssen. Ihre Bitte, diese Gegenstände behalten zu dürfen, weil sie Schnupfen habe, sei mit dem Hinweis abgeschlagen worden, sie könne beides ohnehin nicht gebrauchen. Eine andere Gefangene habe inständig und geradezu flehentlich darum gebe¬ten, eine Toilette aufsuchen zu dürfen, womit sie ebenfalls über einen längeren Zeitraum kein Gehör gefunden habe. Durch die unnötige Fesselung während des übermäßig lange andauernden Transports habe sie erhebliche Schmerzen erlitten (Beweis: Sachverständigengutachten). Weiter habe der Bustransport so stattgefunden, dass den Insassen besondere Aufmerksamkeit seitens der Passanten zugekommen sei, indem der gut einsehbare Bus absichtlich längere Zeit durch die Stadt gefahren und von unnötig vielen Polizeiwagen beglei¬tet worden sei, die ohne Grund Blaulicht und Martinshorn betätigt hätten. Zudem habe der Bus vor der Polizeiwache Wandsbek mitten auf einer Kreuzung gestanden, um die Insassen den Blicken der wartenden Autofahrer auszusetzen. Wegen der von der Beklagten bestrittenen näheren Umstände des Bustransports hat sich die Klägerin auf Zeugenbeweis berufen. Dass man ihr noch die Bekanntschaft mit einer Polizeizelle vermittelt habe, nachdem in der Innenstadt längst feierabendliche Ruhe eingekehrt gewesen sei, könne sie sich nur dadurch erklären, dass es darum gegangen sei, ihr zusammen mit den übrigen Gefangenen einen Denkzettel zu verpassen. Als Folge dieser Behandlung leide sie noch immer unter erheblichen seelischen Nachwirkungen (Beweis: Sachverständigengutachten).

Ihr berechtigtes Genugtuungsinteresse sei nicht schon durch das verwaltungsgerichtliche Anerkenntnisurteil erfüllt, da es infolge des Anerkenntnisses nicht zu einer mündlichen Verhandlung gekommen sei. Dem Aspekt der Genugtuung sei insbesondere wegen des vorsätzlichen und willkürlichen Verhaltens der Polizisten eine hohe Bedeutung beizumessen.

Insbesondere sei ihr aber aus präventiven Gründen eine höhere Entschädigung zuzuerkennen. Derartige präventive Gründe seien bei schwerwiegenden Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht nur im Rahmen von Presseveröffentlichungen zu berücksichtigen. Es bestehe eine erhebliche Wiederholungsgefahr, da es sich nicht um banale und unvermeidliche Pannen im alltäglichen Behördengeschäft gehandelt habe, sondern um eine ständig praktizierte Strategie der hiesigen Polizei, die Freiheitsberaubungen und Körperverletzungen an zahlreichen Unbeteiligten und Unschuldigen billigend in Kauf nehme. Nur durch ein fühlbares Schmerzensgeld könne die Beklagte veranlasst werden, ihre Einsatzpraxis ernsthaft zu überdenken und ihren Polizeibeamten schärfer auf die Finger zu sehen.

Schließlich hat sich die Klägerin auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. April 2000 (Litwa .1. Polen, Az. 26629/95) berufen. Die dort angestellten Erwägungen rechtfertigten es, auch ihr ein höheres Schmerzensgeld zuzuerkennen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber € 4.850,00, zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat geltend gemacht, dass der Schmerzensgeld- bzw. Entschädigungsanspruch der Klägerin durch die Zahlung von € 150,00 erfüllt sei. Dieser Betrag sei unter Berücksichtigung der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds angemessen und ausreichend.

Abgesehen von der Freiheitsbeschränkung über einen Zeitraum von ca. 5 3/4 Stunden und der Fesselung seien der Klägerin keine besonderen Unannehmlichkeiten zugemutet worden. Die mit einem Schmerzensgeld von DM 200,00 ausgeglichenen Beeinträchtigungen, welche den eingeschlossenen Demonstranten im Fall des „Hamburger Kessels“ am 8. Juni 1986 auf dem Heiligengeistfeld zugefügt worden seien, seien wesentlich gravierender gewesen. Mit Nichtwissen hat die Beklagte bestritten, dass der Bustransport der Klägerin mit einer Pran¬gerwirkung verbunden gewesen sei, dass die Handfesseln der in Gewahrsam genommenen Personen von außerhalb des Busses zu erkennen gewesen seien, dass einer anderen Bus¬insassin ein Toilettenbesuch verweigert worden sei, dass die Klägerin durch die Fesselung und die dadurch bedingte vorgebeugte Sitzposition erhebliche, lang andauernde Schmerzen erlitten habe und dass sie bis heute unter seelischen Nachwirkungen leide.

Das Verschulden der Polizisten sei als gering anzusehen. Bei dem Verhalten des Beamten, der die Klägerin nach ihrer Kritik am polizeilichen Einschreiten in den Bereich der Absperrung zurückgeschoben habe, habe es sich um die Verfehlung eines Einzelnen gehandelt. Im Übrigen beruhe die Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes lediglich auf formellen Fehlern. Die vor Ort handelnden Polizisten seien von der Rechtmäßigkeit der lngewahrsamnahme aus¬gegangen.

Genugtuung habe die Klägerin bereits im Rahmen des Verfahrens vor dem Verwaltungsge¬richt und des Strafverfahrens erhalten.

Für das von der Klägerin verfolgte generalpräventive Ziel der Unterbindung einer angeblich etablierten rechtswidrigen Einsatztaktik der Polizei bei Demonstrationen sei im Rahmen einer individuellen Schmerzensgeldklage kein Raum. Spezialpräventive Gesichtspunkte könnten schon deshalb nicht zu einer Erhöhung des Anspruchs führen, weil diese nur bei Vorsatzta¬ten im Zusammenhang mit der Abschöpfung eines vom Schädiger erzielten oder angestreb¬ten Gewinns zu berücksichtigen seien.

Mit Urteil vom 30. Juni 2006 (BI. 79 ff. d.A.) hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass in den polizeilichen Maßnahmen, deren Rechtswidrig¬keit durch das Anerkenntnisurteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Februar 2004 bindend festgestellt worden sei, zwar eine schuldhafte Amtspflichtverletzung zu sehen sei, welche zu einer Verletzung der Gesundheit, der Freiheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin geführt habe, was einen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden die Zahlung von € 150,00 erfüllt worden und somit erloschen. Dabei habe die Kammer die - im Vergleich zum Fall des sog. „Hamburger Kessels“ - kürzere Dauer der Freiheitsbeeinträchtigung, die zwischenzeitlich eingetretene Geldentwertung und die besonderen Umstände des Einzelfalles bedacht. Insbesondere sei berücksichtigt worden, dass die Klägerin an den Händen gefesselt worden und bei der Busfahrt den Blicken neugieriger Passanten ausgesetzt gewesen sei. Von einer absichtlichen und gezielten Zurschaustellung, die den Vergleich mit einem mittelalterlichen Pranger rechtfertige, könne allerdings nicht ausgegangen werden. Im Übrigen sei eine Prangerwirkung auch deshalb nicht anzunehmen, weil die Busfahrt nicht durch Stadtteile geführt habe, in denen sich die Wohnung oder der Arbeitsplatz der Klägerin befunden hätten. Außerdem habe die Klägerin bereits durch das verwaltungsgerichtliche Urteil, die staatsanwaltlichen Feststellungen und die vorgerichtliche Anerkennung einer schuldhaften Amtspflichtverletzung durch die Beklagte in weitgehendem Umfang Genugtuung erfahren. Auch aus präventiven Gründen komme ein höheres Schmerzensgeld nicht in Betracht. Der Gesichtspunkt der Prävention komme insbesondere dann zum Tragen, wenn ein Presseunternehmen unter vorsätzlichem Rechtsbruch die Verletzung der Persönlichkeit als Mittel zur Auflagensteigerung und damit zur Verfolgung eigener kommerzieller Interessen eingesetzt habe. Eine vergleichbare Konstellation liege hier nicht vor, weil die Beklagte nicht in Gewinnerzielungsabsicht, sondern in Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gehandelt habe, die ihren Bediensteten oft schwierige, schnell zu treffende Entscheidungen abverlange, bei denen es zu Fehlern kommen könne. Die Verhängung eines höheren Schmerzensgeldes als generalpräventive Maßnahme ginge weitgehend ins Leere, da keine absichtlichen Rechtsverletzungen in Rede stünden. Ohnehin wirke der Arbeitsaufwand, der mit der Führung von Verwaltungs- und Zivilprozessen sowie mit strafrechtlichen Ermittlungen verbunden sei, erheblich abschreckender auf die Beklagte als eine Verurteilung zur Zahlung eines höheren Schmerzensgelds. Letztlich sei die Zuerkennung eines höheren Schmerzens¬gelds auch nicht durch die von der Klägerin angeführte Entscheidung des Europäischen Ge¬richtshofs für Menschenrechte veranlasst, da der dortige Fall im Hinblick auf die Auswirkun¬gen der ungerechtfertigten Haft und den Aspekt der Genugtuung nicht mit dem vorliegenden vergleichbar sei.

Gegen das ihr am 4. Juli 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 12. Juli 2006 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 1. September 2006 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin rügt, dass das Landgericht die von ihr vorgetragenen besonderen Umstände des Falles nicht ausreichend gewürdigt habe. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass es im Verlauf des im Streit befindlichen Geschehens ihr gegenüber nicht nur zu einer einmaligen, sondern zu mehreren Amtspflichtverletzungen gekommen und dass den Polizis¬ten jeweils ein besonders gravierendes Verschulden vorzuwerfen sei. Die Polizisten hätten zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich gehandelt, da die Voraussetzungen für eingreifende Maßnahmen nicht einmal ansatzweise vorgelegen hätten. Jedenfalls nach ihrer lngewahrsamnahme, also im Verlauf des Transports und zuletzt auf der Wache, habe es sich auch nicht mehr um eilbedürftige Entscheidungen gehandelt, die eher zu Fehlern führen könnten. Den Maßnahmen sei zudem eine Prangerwirkung nicht abzusprechen, nur weil sie nicht im Bereich ihrer Wohnung bzw. ihres Arbeitsplatz stattgefunden hätten, da sich ihre Bekannten auch in anderen Gegenden Hamburgs aufhielten.

Ferner habe ihr weder der Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Genugtuung verschafft, da insofern die fehlende Anklageerhebung im Vordergrund gestanden habe, noch die vorgerichtliche Anerkennung eines Verschuldens. Es sei nur ein Verschulden desjenigen Beamten eingeräumt worden, der sie in den Kessel gedrängt habe, und Anlass für die Zahlung sei nicht Reue, sondern nur der Wunsch nach einer schnellen Beendigung der Auseinandersetzung gewesen.

Angesichts der Intensität des Verschuldens und der lediglich politischen Motivation des Poli¬zeieinsatzes müssten Präventionsgesichtspunkte trotz der fehlenden Ausnutzung der Persönlichkeitsrechtsverletzung zur Gewinnerzielung eine erhebliche Rolle bei der Bemessung der Entschädigung spielen. Dass Wiederholungsgefahr bestehe, werde eine Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen, Beiziehung von - andere Vorfälle betreffenden - Akten und Einholung amtlicher Auskünfte ergeben. Der mit der Durchführung von Verwaltungs-, Straf- und Zivilverfahren verbundene Aufwand wirke als solcher noch nicht abschreckend, weil dieser bei der Beklagten angesichts der Größenordnung ihrer Verwaltung anders als bei den beteiligten Bürgern kaum ins Gewicht falle.

Ein Anspruch ergebe sich weiter aus Art. 41 EMRK i.V.m. Art. 2 ff. EMRK, da die EMRK als nationales Recht anzuwenden sei. Der Anspruch bestehe wegen einer Verletzung von Art. 3 und 5 EMRK.

Im Übrigen wiederholt und vertieft die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 1. September 2006 (Bl. 97 ff. d.A.) und auf ihren Schriftsatz vom 11. Dezember 2006 (Bl. 163 if. d.A.) verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 30. Juni 2006 - 303 0 669/05 - zu verurteilen, an sie - die Klägerin - ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber € 4.850,00, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, wobei sie ebenfalls ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Bedeutung und Tragweite des Eingriffs seien als gering zu betrachten, da dieser nach knapp sechs Stunden abgeschlossen und — abgesehen von der Fesselung — nicht mit besonderen Beeinträchtigungen verbunden gewesen sei. Die Behauptung erheblicher, lange nachwirkender körperlicher Schmerzen sei nicht näher vorgetragen und nicht ärztlich dokumentiert. Sie sei ebenso zu bestreiten wie die Behauptung noch heute andauernder seelischer Nachwirkungen. Die Personalienfeststellung, die Fotoaufnahme, die Durchsuchung des Rucksacks, die Aufforderung, die Jackentasche zu leeren und die zeitweilige Sicherstellung einiger Gegenstände spielten keine Rolle, da es sich in¬soweit um Bagatellbeeinträchtigungen gehandelt habe, die einen Entschädigungsanspruch nicht begründen könnten. Mit Nichtwissen bestreitet die Beklagte, dass die Klägerin auch ihre Brille und Papiertaschentücher habe abgeben müssen und dass einer anderen Insassin des Busses eine Toilettenbenutzung verweigert worden sei. Eine erniedrigende Behandlung sei der Klägerin nicht zugemutet worden. Soweit es ihre allein relevanten lngewahrsamnahme angehe, sei das ihr — der Beklagten — vorwerfbare Verschulden als gering anzusehen. Die Einschließung in dem Polizeikessel sei nicht völlig rechtsgrundlos angeordnet worden. Die Voraussetzungen für eine Auflösung der verbotenen und mit erheblichen Störungen ver¬bundenen Demonstration hätten vorgelegen. Es sei lediglich zu einer Fehleinschätzung darüber gekommen, ob es einer Auflösungsverfügung bedurft habe bzw. ob eine solche bereits erfolgt sei. Dass die Klägerin als Nichtstörerin in den Kessel geschoben worden sei, stelle die Exzesstat eines einzelnen Polizisten dar. Frühestens ab 18.19 Uhr sei erkennbar gewesen, dass sie als unbeteiligte Dritte von den polizeilichen Maßnahmen betroffen gewesen sei. Dies ergebe sich aus den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft. Dass die Klägerin auch danach noch festgehalten worden sei, sei dadurch zu erklären, dass das Protestspektrum nach den Erkenntnissen der Polizei beabsichtigt habe, ab 21.00 Uhr weitere Aktionen im Bereich Altona/Ottensen durchzuführen.

Soweit es die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds betrifft, macht sich die Beklagte das angefochtene Urteil zu Eigen. Die Ausführungen des Landgerichts stünden im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs.

Eine Wiederholungsgefahr bestehe schon deshalb nicht, weil es zu den gegen die Klägerin gerichteten polizeilichen Maßnahmen nicht aufgrund einer üblichen Taktik der Polizei, sondern wegen eines Fehlverhaltens eines einzelnen Polizisten gekommen sei. Die Akten, deren Beiziehung die Klägerin beantragt habe, beträfen Einzelfälle, in denen es um die Verein¬barkeit freiheitsentziehender Maßnahmen mit der StPO gegangen sei und bei denen die Beanstandungen erfolglos geblieben seien. Mit einer Wiederholung langfristiger Ingewahrsamnahmen aufgrund aufwändiger Transporte sei in Zukunft nicht mehr zu rechnen, weil mittlerweile in der Stresemannstraße eine zentrale Verwahrstelle eingerichtet worden sei. Die zulässige Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Klägerin steht im Zusammenhang mit den gegen sie gerichteten polizeilichen Maßnahmen vom 21. Dezember 2002 unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung ein Anspruch auf Schadens¬ersatz bzw. Entschädigung in Höhe von insgesamt € 500,00 gegen die Beklagte zu. Nachdem die Beklagte vorprozessual bereits € 150,00 gezahlt hat, sind der Klägerin weitere € 350,00 zuzusprechen. Die darüber hinausgehende Schadensersatz bzw. Entschädigungsforderung der Klägerin ist dagegen nicht gerechtfertigt. Im Einzelnen:

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG sind dem Grunde nach erfüllt.

a. Mit den in dem Anerkenntnisurteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Februar 2004 (Anlage B 3) aufgeführten Maßnahmen verletzten die verantwortlichen Polizeibeamten ihre Amtspflicht zur rechtmäßigen Ausübung der ihnen übertragenen Aufgaben und Befugnisse welche ihnen der Klägerin gegenüber oblag. Die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen steht aufgrund der Rechtskraftwirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils bindend fest. Einer Identifizierung der betreffenden Polizeibeamten bedarf es nicht, weil — soweit ersichtlich — alle in Diensten der Beklagten standen und für sie handelten, so dass sich die Beklagte deren Verhalten zurechnen lassen muss.

b. Die Polizeibeamten handelten zumindest fahrlässig und damit schuldhaft. Dies hat die Beklagte in ihrem vorprozessualen Schreiben vom 13. Dezember 2005 (Anlage B 1) ausdrücklich eingeräumt und bedarf daher an dieser Stelle keiner näheren Begründung.

c. Anhaltspunkte für Haftungsausschlüsse oder Haftungsbeschränkungen sind nicht ersichtlich.

d. Durch die schuldhaften Amtspflichtverletzungen erlitt die Klägerin einen Schaden, indem ihre Freiheit, ihre körperliche Unversehrtheit und ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wurden. Wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit und der Freiheit ist gemäß § 253 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeld zu zahlen. Ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besteht aufgrund des Schutzauftrags, der sich aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ergibt, wenn es sich — wie hier — um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (BGH, Urteil vom l.-Dezember 1999, 1 ZR 49/97, BGHZ 143, 214 ff.). Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die nachfolgenden Ausführungen zum Ausmaß der Beeinträchtigungen verwiesen.

2. Der angesichts der Einheitlichkeit des in Rede stehenden Lebensvorgangs in einer Summe festzusetzende Schadensersatz- bzw. Entschädigungsbetrag zum Ausgleich der vorgenannten Rechtsgutsverletzungen ist in Höhe von insgesamt € 500,00 begründet und in Höhe von € 150,00 durch die vorprozessuale Zahlung der Beklagten erfüllt, so dass noch € 350,00 zu zahlen sind.

Bei der Schmerzensgeldbemessung ist in erster Linie das Ausmaß der Rechtsbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Daneben können aber auch alle Umstände einbezogen werden, die dem einzelnen Fall sein besonderes Gepräge geben, wozu der Grad des Verschuldens des Schädigers gehört. Jedenfalls bei Vorsatztaten kann auch ein Genugtuungsbedürfnis des Geschädigten zu berücksichtigen sein (BGH, Entscheidung vom 6. Juli 1955, GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157 if.; Urteil vom 29. November 1994, VI ZR 93/94, NJW 1995, 781 ff.). Bei der Bemessung einer Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellen die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung, der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers und der Präventionsgedanke Bemessungsfaktoren dar, die sich je nach Lage des Falles unterschiedlich auswirken können (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2004, VI ZR 255/03, BGHZ 160, 298 if.). Unter umfassender Abwägung dieser Gesichtspunkte hält es der Senat für angemessen, der Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des o.g. Geldbetrages zuzuerkennen. Wesentlich sind hierfür insbesondere folgende Erwägungen:

a. Die Klägerin war am 21. Dezember 2002 während eines begrenzten, aber schon bedeutsamen Zeitraums Beeinträchtigungen verschiedener Rechtsgüter durch Bedienstete der Beklagten ausgesetzt.

Wie das Verwaltungsgericht Hamburg unter Ziff. 2 c des Anerkenntnisurteils vom 24. Februar 2004 (Anlage B 3) festgestellt hat, wurde die Klägerin gegen 17.15 Uhr in polizeilichen Gewahrsam genommen, in dem sie bis gegen 23.00 Uhr verblieb. Ihr war somit rund 5 3/4 Stunden lang die körperliche Bewegungsfreiheit entzogen.

Wie das Verwaltungsgericht unter Ziff. 2 f und 2 g des Anerkenntnisurteils vom 24. Februar 2004 (Anlage B 3) festgestellt hat, waren die Hände der Klägerin in der Zeit von etwa 18.00 Uhr bis 21.20 Uhr, also nahezu 3 1/2 Stunden lang, auf ihrem Rücken gefesselt. Davon, dass eine solche stundenlange Zwangshaltung — wie von der Klägerin behauptet — zu schmerzhaften Verspannungen führt, ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht auszugehen, ohne dass es einer Erhebung des angebotenen Sachverständigenbeweises bedarf. Ebenfalls ist es nachvollziehbar, dass derartige Schmerzen nach dem Lösen der Fesselung erst allmählich abklingen. Eine bestimmte Leidenszeit hat die Klägerin durch die unspezifizierte Behauptung eines langen Nachwirkens erheblicher Schmerzen allerdings nicht schlüssig dargetan. Schon deshalb kann nicht festgestellt werden, über welchen Zeitraum die körperlichen Beeinträchtigungen andauerten. Jedenfalls ist anzunehmen, dass es sich nicht um Wochen oder Monate handelte, weil sich die Klägerin in einem solchen Fall in ärztliche oder physiotherapeutische Behandlung begeben hätte, was indes nicht geltend gemacht worden ist.

Wie das Verwaltungsgericht unter Ziff. 2 d, e und g des Anerkenntnisurteils vom 24. Februar 2004 (Anlage B 3) festgestellt hat, wurden darüber hinaus die Personalien der Klägerin festgestellt, sie wurde fotografiert, sie musste ihre Jackentaschen leeren, der von ihr mitgeführte Rucksack wurde durchsucht und sie wurde gefesselt in einem Bus kreuz und quer durch Hamburg gefahren. Sie wurde damit unter den Augen der Öffentlichkeit wie eine Störerin der öffentlichen Sicherheit und Ordnung behandelt, obwohl sie sich nicht störend verhalten, sondern nur die Straße als öffentlichen Verkehrsraum bernutzt und mit ihrer kritischen Äußerung gegenüber einem Polizeibeamten von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hatte. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin mit ihren wiederholten Hinweisen auf das ihr zugefügte Unrecht kein Gehör fand und ihr dadurch das Gefühl vermittelt wurde, ein bloßes Objekt staatlichen Handelns zu sein, wurde ihr Wert- und Achtungsanspruch in einem Umfang beeinträchtigt, der neben der ihr zugefügten Beeinträchtigung der Freiheit und der körperlichen Unversehrtheit ins Gewicht fällt. Angesichts des Eindrucks, den der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2006 gewonnen hat, erscheint es plausibel, dass die hierdurch bewirkte Betroffenheit und berechtigte - Empörung bei der Klägerin noch heute andauert. Nach alledem ist in ihrer Behandlung durch die Bediensteten der Beklagten auch ein schwerwiegender Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht zu sehen, der eine Geldentschädigung rechtfertigt. Dabei hat der Senat ferner bedacht, dass die Klägerin über Stunden im Ungewissen darüber blieb, wann sie wieder nach Hause zurückkehren könnte und was bis dahin mit ihr geschehen werde, wenngleich sie während ihrer Ingewahrsamnahme Gelegenheit hatte, telefonisch Kontakt mit ihren Angehörigen aufzunehmen.

Soweit sonstige Begleitumstände der polizeilichen Maßnahmen zwischen den Parteien streitig sind — wie etwa der Vortrag der Klägerin, einer in denselben Bus wie sie verbrachten Frau sei die dringende Bitte abgeschlagen worden, eine Toilette aufsuchen zu dürfen — bedarf es keiner Aufklärung. Denn es ist nicht ersichtlich, dass diese Umstände bei der Bemessung des der Klägerin zu zahlenden Schmerzensgeld- bzw. Entschädigungsbetrags neben den bereits angesprochenen Faktoren ins Gewicht fallen könnten. Entsprechendes gilt für die Behauptung der Klägerin, dass während ihres Bustransports von der Hamburger Innenstadt über Wandsbek, Tonndorf, Rahlstedt und Poppenbüttel nach Langenhorn Fußgänger stehen geblieben und Autofahrer ihre Fahrzeuge verlassen hätten, um sich die Gefangenen im Bus näher anzusehen, deren Fesselung deutlich zu erkennen gewesen sei. Entscheidend ist, dass der Bus mit den in Gewahrsam genommenen Per¬sonen in Aufsehen erregender Weise durch die Stadt fuhr, indem er von fünf Poli¬zeifahrzeugen begleitet wurde, die Blaulicht und zeitweise Martinshorn betätigten. Dass dies — unabhängig davon, ob tatsächlich die Gefahr bestand, von Passanten erkannt zu werden -‚ zu dem Eindruck der Klägerin beigetragen hat, unter den Augen der Öffentlichkeit in ihrem Wert- und Achtungsanspruch beeinträchtigt zu werden, hat der Senat bei seiner Abwägung berücksichtigt.

b. Die Bediensteten verletzten die Rechte der Klägerin nicht nur durch eine einzige amtspflichtwidrige Handlung mit für sich genommen nicht vorwerfbaren Folgen. Vielmehr handelte es sich um eine Mehrzahl selbständiger Amtspflichtverletzungen, bei denen sich verschiedene Amtsträger auch bei isolierter Betrachtung in einem bis hin zum Vorsatz reichenden Grade schuldhaft verhielten.

Dem Polizisten, der die Klägerin hinter die Polizeikette zurückdrängte, nachdem sie sich kritisch über das polizeiliche Vorgehen geäußert hatte, ist Vorsatz vorzuwerfen. Wie die Klägerin zu Recht ausgeführt (S. 12 f. der Berufungsbegründung, Bl. 108 f. d.A.) und die Beklagte nicht in Abrede genommen hat, ist nicht ersichtlich, dass er das Fehlen einer Rechtsgrundlage für sein Handeln verkannt haben könnte. Auch die Staatsanwaltschaft Hamburg ist insofern ausweislich ihres Einstellungsbescheids vom 17. August 2005 (Anlage B 4, dort S. 4) von einer bewusst rechtsgrundlosen Maßnahme ausgegangen.

Ein selbständiger Verschuldensvorwurf ist darin zu sehen, dass keiner der nach dem Zurückdrängen der Klägerin in den „Kessel“ mit ihr befassten Polizeibeamten davon Kenntnis nahm, dass sie keine Störerin war, so dass die hier in Rede stehenden polizeilichen Maßnahmen jedenfalls nicht gegen sie hätten ergriffen werden dürfen. Nach ihren unwidersprochenen Angaben verhielt sich die Klägerin ruhig, sachlich und kooperativ. Sie wies darauf hin, dass sie nur Weihnachtseinkäufe erledigt, nicht aber an einer verbotenen Versammlung teilgenommen habe. Inwiefern Veranlassung dazu bestanden hätte, ihr nicht zu glauben, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht einmal erkennbar, dass sie anhand ihres „Erscheinungsbilds“ Grund zu der Annahme geboten haben könnte, dass sie zu den Demonstranten gehörte. Sollten noch berechtigte Zweifel verblieben sein, hätten sich die Polizeibeamten anhand der ausweislich der Quittungen unmittelbar zuvor gekauften Weihnachtsgeschenke, die sich in dem durchsuchten Rucksack befanden, davon überzeugen können und müssen, dass sich die Klägerin zu Einkaufszwecken in der Hamburger Innenstadt aufgehalten hatte. Die Einschätzung der Beklagten, wonach die fehlende Störereigenschaft der Klägerin nicht vor 18.19 Uhr erkennbar gewesen sei (S. 5 der Berufungserwiderung, BI. 146 d.A.), teilt der Senat nicht und kann auch nicht auf die Verfügung der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg vom 21. Juli 2006 (Anlage K 4, dort 5. 6) gestützt werden. Es heißt dort nur, dass die gefesselt in einen Bus verbrachten Personen unverzüglich hätten freigelassen werden müssen, nachdem die Einkesselung der auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz Verbliebenen um 18.19 Uhr aufgehoben worden war. Dass die Klägerin nicht vor 18.19 Uhr als unbeteiligte Dritte zu erkennen gewesen wäre, ist damit nicht gesagt. Wenn die gebotene Bereitschaft zu einer Einzelfallprüfung bestanden hätte, wäre dies viel¬mehr von vornherein festzustellen gewesen. Eine solche Einzelfallprüfung durfte die Klägerin umso mehr erwarten, nachdem sich der Bus mit den in Gewahrsam genommenen Personen vom Ort des Demonstrationsgeschehens entfernt hatte und die Anzahl der betreffenden Personen von Polizeiwache zu Polizeiwache im¬mer überschaubarer geworden war.

Auch wenn man davon absieht, dass die Klägerin erkennbar als unbeteiligte Dritte von den polizeilichen Maßnahmen betroffen wurde, ist entgegen der Meinung der Beklagten nicht nur ein geringes Verschulden ihrer Bediensteten anzunehmen. Anders als sie es darstellt, erschöpfte sich deren Fehlverhalten nicht in einem von den vor Ort handelnden Polizeibeamten nicht erkannten Formfehler, nämlich darin, dass die Auflösung einer in der Hamburger Innenstadt verbotenen Demonstration nicht entsprechend den Anforderungen des Versammlungsgesetzes erklärt und kein Platzverweis erteilt worden war. Selbst wenn die Versammlung ordnungsgemäß aufgelöst worden wäre, hätten die Demonstranten grundsätzlich nicht festgehalten werden dürfen. Vielmehr hätte ihnen Gelegenheit gegeben werden müs¬sen, ihrer Pflicht, sich zu entfernen, zu genügen. Auf die subsidiären Regelungen des SOG durfte als Eingriffsermächtigung nicht zurückgegriffen werden. Dass von den eingeschlossenen Personen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit, namentlich Gewalttätigkeiten, begangen worden wären oder gedroht hätten, so dass es gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 SOG unerlässlich gewesen wäre, sie in Gewahrsam zu nehmen, kann aufgrund des vorliegenden Sach- und Streitstands nicht feststellt werden. Vielmehr verhielten sich die Demonstrantengruppen, die sich in dem betreffenden lnnenstadtbereich unter die Passanten gemischt hatten, nach den eigenen Ausführungen der Beklagten (S. 4 der Anlage B 5) sehr passiv und machten nur durch vereinzelte Rufe auf sich aufmerksam Die auf Ankündigungen im Internet gestützten Befürchtung der Beklagten, dass sich Demonstrant innerhalb des Stadtgebiets unfriedlich betätigen und etwa Kaufhäuser angreifen könnten, reicht nicht aus, um eine Einkesselung sämtlicher Versammlung zu rechtfertigen. Spätestens seit den Urteilen zum „Hamburger Kessel“ auf dem Heiligengeistfeld vom 8. Juni 1986 (LG Hamburg, Urteil vom 6. März 1987, 3 0 229/86 NVWZ 1987, 833 f.; VG Hamburg Urteil vom 30. Oktober 1986, 12 VG 2442/Sb NVWZ 1987, 829 ff.) hätte dies den Polizeibeamten bekannt Sein müssen Mehr noch als für die unmittelbar mit der Klägerin befassten Bediensteten der Beklagten gilt dies für die Verantwortlichen der Einsatzleitung, denen zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Dabei ist es nicht erforderlich, das Ergebnis der nach Aussetzung des Klageerzwingungsverfahrens vor dem 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts mit Beschluss vom 17. August 2006 (Anlage K 5) noch andauernden strafrechtliche Ermittlungen abzuwarten Selbst wenn sich dabei herausstellen sollte, dass sich eine Person, welche die Einsatzentscheid verantwortlich getroffen hätte nicht identifizieren bzw. deren Wissensstand nicht feststellen lässt, könnte dies die Beklagte nicht von einer zivilrechtlichen Haftung entlasten, weil sie sich in einem solchen Fall ein Organisationsverschulden zurechnen lassen müsste. Ein hinreichen der Grund für die Fortdauer der Ingewahrsamnahme war schließlich spätestens nicht mehr ersichtlich, nachdem gegen 18.19 Uhr die Einkesselung der auf dem Gerhart-Hautmann-Platz verbliebenen Personen aufgehoben worden war. Denn es leuchtet nicht ein, warum es geboten gewesen wäre, diejenigen der eingekesselten Personen, welche es geduldet hatten, mit einem Bus aus der Hamburger Innenstadt abtransportiert zu werden, länger in ihrer Freiheit einzuschränken als die Personen, die am Ort der Demonstration verblieben waren.

Unabhängig von der Rechtmäßigkeit der lngewahrsamnahme als solche lagen auch die Voraussetzung für weitere in diesem Zusammenhang gegen die Klägerin ergriffene Polizeiliche Maßnahmen erkennbar nicht vor. So ist nicht ersichtlich, warum es gemäß §§ 4 und 7 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (POIDVG) zur Feststellung der Identität der Klägerin erforderlich gewesen sein Sollte, sie durch die Aufnahme eines Lichtbilds erkennungsdienstlich zu behandeln, nachdem Sie ihren Personalausweis vorgewiesen hatte. Weiter leuchtet nicht ein, inwiefern zumindest von der Mehrzahl der Gegenstände, die sich in ihren Jackentasche und in ihrem Rucksack befunden hatten, die Gefahr einer missbräuchlich Verwendung oder eine sonstige unmittelbar bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gedroht haben könnte, bei der eine zeitweilige Sicherstellung gemäß § 14 SOG hätte in Betracht kommen kön¬nen. Für eine Fesselung der in Gewahrsam genommenen Personen bestand — Wie auch die Generalstaat in ihrer Verfügung Vom 21. Juli 2006 (Anlage K 4, dort S. 7) zu bedenken gegeben hat — ersichtlich umso weniger Veranlassung, je länger die friedlichen Verhältnisse im Bus andauerten und je mehr sich das Zahlenverhältnis von Businsassen und Polizisten zugunsten letzterer verschob.

c. Weniger gewichtig als Eingriffsintensität und Verschulden erscheint im vorliegenden Fall die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds bzw. der Entschädigung. Denn bereits durch das Anerkenntnis der Beklagten mit Schriftsatz vom 3. November 2003 (Anlage B 2), das daraufhin ergangene Anerkenntnisurteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Februar 2004 (Anlage B 3) und das Schreiben vom 13. Dezember 2005 (Anlage B 1), in dem die Beklagte ein Verschulden einräumte, hat die Klägerin Genugtuung erfahren. Das von der Klägerin vermisste Bedauern hat die Beklagte in ihrer Berufungserwiderung (dort S. 12, Bl. 153 d.A.) ausgesprochen. Anders als in dem Fall des „Hamburger Kessels“ (LG Hamburg, Urteil vom 6. März 1987, 3 0 229/86, NVwZ 1987, 833, 834) hat die Beklagte ihren Erklärungen auch Taten folgen lassen, indem sie vorprozessual eine Ausgleichszahlung (wenn auch nicht in der von der Klägerin begehrten Höhe) geleistet hat.

Allerdings kann hier dem Gesichtspunkt der Genugtuung nicht jegliche Bedeutung abgesprochen werden. Immerhin hat die Beklagte noch im vorliegenden Rechtsstreit den Grad des ihr vorwerfbaren Verschuldens zu relativieren versucht, indem sie den (aus den oben im Einzelnen dargelegten Gründen nicht zu haltenden) Standpunkt eingenommen hat, dass der Polizeieinsatz — abgesehen von einem spontanen Fehlverhalten des Beamten, der die Klägerin wegen ihrer kritischen Äußerung hinter die Absperrung geschoben habe — nur aus formellen Gründen (nämlich wegen des Fehlens einer ausdrücklich und eindeutig erklärten Auflösungsverfügung) fehlerhaft gewesen sei, und dass sie sich mit der Bekundung ihres Bedauerns verhältnismäßig lange Zeit gelassen hat.

Auf den Ausgang des auf die Anzeige der Klägerin hin eingeleiteten Strafverfahrens gegen Bedienstete der Beklagten kommt es auch im vorliegenden Zusammenhang nicht an. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, gerät das Genugtuungsbedürfnis des Geschädigten in der Regel nicht in Wegfall, wenn der Schädiger wegen der von ihm begangenen Tat verurteilt wird. Gerade weil das Schmerzensgeld keine Privatstrafe darstellt, sondern auf Schadensausgleich gerichtet ist, kann die Höhe der Entschädigung nur am immateriellen Schaden ausgerichtet werden, nicht aber an der Überlegung, ob daneben auch der staatliche Strafanspruch verwirklicht worden ist (BGH, Urteil vom 29. November 1994, VI ZR 93/94, NJW 1995, 781, 782; Urteil vom 16. Januar 1996, VI ZR 109/95, NJW 1996, 1591). Umgekehrt kann es aber auch nicht als schmerzensgelderhöhend gewertet werden, dass es — zumindest bislang - nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung der verantwortlichen Polizeibeamten gekommen ist.

d. Bei der Bemessung der Höhe des der Klägerin zuzubilligenden Schmerzensgelds bzw. der ihr zu gewährenden Entschädigung ist der Senat — in Übereinstimmung mit dem Landgericht — von dem Betrag ausgegangen, der zum Ausgleich von Be¬einträchtigungen der Freiheit angemessen erscheint. Er hat die hierzu ergange¬nen, u.a. auf S. 7 f. des angefochtenen Urteils zitierten Präjudizien unter Berücksichtigung ihrer naturgemäß nur eingeschränkten Vergleichbarkeit herangezogen.

Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für geboten, den Ausgleichsbetrag von DM 200,00 = rund € 100,00, den das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 6. März 1987 (3 0 229/86, NVwZ 1987, 833 f.) den am 8. Juni 1986 im „Hamburger Kessel“ eingeschlossenen Personen zuerkannt hat, um deutlich mehr als 50 % zu erhöhen. Wesentliche Unterschiede zwischen dem dortigen und dem vorliegend zu entscheidenden Fall bestehen nicht nur in Bezug auf eine zwischenzeitliche Geldentwertung einerseits und die hier geringere Dauer der Freiheitsentziehung andererseits. lmi Fall des „Hamburger Kessels“ hat das Landgericht den Klägern vorgehalten, dass sie sich freiwillig zu einer unangemeldeten Demonstration, die nach der Vorgeschichte einige Brisanz in sich barg, zusammengefunden und damit die Beeinträchtigungen, die gemeinhin mit solchen Veranstaltungen einhergehen, bewusst und gewollt in Kauf genommen hätten. Derartige Erwägungen treffen im Fall der Klägerin nicht zu, die nicht an einer unangemeldeten Demonstration teilgenommen und sich auch sonst in jeder Hinsicht korrekt verhalten hat. Aus ähnlichen Gründen ist auch der Fall des „Münchener Kessels“ nicht vergleichbar, in dem das OLG München den dortigen Klägern mit Urteil vom 20. Juni 1996 (1 U 3098/94, NJW-RR 1997, 279 ff.) ein Schmerzensgeld von jeweils DM 50,00 = rund € 25,00 für eine wegen eines tatsächlich bestehenden Verdachts auf Beteiligung an einer versuchten Nötigung zwecks Verhinderung einer Versammlung grundsätzlich ge¬rechtfertigte, die zulässige Dauer aber um einige Stunden überschreitende Ingewahrsamnahme zugebilligt hat.

Mehr als das Fünffache des im Fall des „Hamburger Kessels“ zugesprochenen Betrages hält der Senat indes zum Ausgleich der von der Klägerin erlittenen Freiheitsbeschränkungen auch unter Berücksichtigung der zusätzlich mit der Fesselung verbundenen Verletzung ihrer körperlichen Unversehrtheit und der Beeinträchtigung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie der Intensität des der Beklagten zurechenbaren Verschuldens nicht für angemessen. Damit wird — soweit nach den vorgenannten Ausführungen noch geboten — auch der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds bzw. der Entschädigung hinreichend Rechnung getragen, zumal diese bereits bei der Bemessung des Betrags berücksichtigt worden ist, den das Landgericht Hamburg den Klägern im Fall des „Hamburger Kessels“ zugesprochen hat.

e. Der Gesichtspunkt der Prävention rechtfertigt keine höhere als die hier zugesprochene Entschädigung. Soweit der BGH im Zusammenhang mit der Bemessung der Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts den Präventionsgedanken betont hat, handelte es sich um Fälle der sog. Zwangs-kommerzialisierung, also der unerwünschten Ausbeutung fremder Persönlichkeits¬rechte zum Zwecke der Gewinnerzielung (BGH, Urteil vom 22. Januar 1985, VI ZR 28/83, NJW 1985, 1617 ff.: Veröffentlichung von Nacktfotos ohne Einwilligung des Abgebildeten; Urteil vom 15. November 1994, VI ZR 56/94, BGHZ 128, 1 if.: Veröffentlichung eines erfundenen Interviews mit Caroline von Monaco; BGH, Urteil vom 5. Oktober 2004, VI ZR 255/03, BGHZ 160, 298 ff.: Veröffentlichung heimlich angefertigter Fotos der Kinder von Caroline von Monaco; vgl. auch G. Müller, VersR 2006, 1292 f.). Ein solcher Fall der Zwangskommerzialisierung steht hier indes nicht in Rede. Die vom BGH angestellte Erwägung, wonach die Geldentschädigung bei einer schwerwiegenden Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts so bemessen werden müsse, dass davon ein echter Hemmungseffekt ausgehe, kann für die hier in Rede stehenden polizeilichen Maßnahmen schon deshalb nicht gleichermaßen gelten, weil dafür andere Erwägungen ins Gewicht fallen als der das Geschäftsleben beherrschende Vergleich von Kosten und finanziellem Nutzen. Dem Gedanken, dass der Schutz der Grundrechte aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG verkümmern würde, wenn deren Verletzung häufig folgenlos bliebe, wird hier dadurch Rechnung getragen, dass zum einen überhaupt eine Sanktion in Form einer Geldentschädigung erfolgt und zum anderen ein im Vergleich mit von deutschen Gerichten zugesprochenen Schmerzensgeldern für Freiheitsbeeinträch¬tigungen deutlich erhöhter Ausgleichsbetrag zuerkannt wird.

Die Vorfälle, welche die Klägerin zur Begründung der Notwendigkeit einer präventiven Einwirkung auf die Beklagte angeführt hat (5. 4 ff. des Schriftsatzes vom 17. März 2006, BI. 33 ff. d.A.; 5. 27 ff. der Berufungsbegründung, BI. 123 ff. d.A.), belegen im Übrigen allenfalls, dass es auch nach dem im Streit befindlichen Ereignis vom 21. Dezember 2002 zu rechtswidrigen polizeilichen Maßnahmen gekommen sein soll, die gegen Demonstranten oder sog. Angehörige missliebiger gesellschaftlicher Gruppen oder gegen Personen gerichtet waren, die versehentlich für solche gehalten wurden. Dass sich wahllose Einkesselungen und Festnahmen bei Protestkundgebungen als probate polizeiliche Strategie der Einschüchterung protestierender Bürger etabliert habe (so die Klägerin, S. 13 der Klagschrift, Bl. 13 d.A.), wird durch die nicht näher konkretisierte Darstellung dieser vereinzelten Vorfälle nicht gestützt. Dem Antrag der Klägerin auf Beiziehung von Akten und Vernehmung nicht namhaft gemachter Zeugen zu den erwähnten Vorfällen (S. 29 der Berufungsbegründung, BI. 125 d.A.) ist ebenso wenig nachzugehen wie dem Antrag der Klägerin auf Einholung einer amtlichen Auskunft über die auf S. 6 ihres Schriftsatzes vom 17. März 2006 (BI. 35 d.A.) und auf S. 3 ihres Schriftsatzes vom 11. Dezember 2006 (Bl. 165 d.A.) genannten Umstände, weil sämtliche Anträge auf eine im Zivilprozess unzulässige Ausforschung hinausliefen.

f. Ein weiter gehender Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte folgt auch nicht aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Zwar gilt die EMRK innerstaatlich mit Gesetzeskraft, und gewährt in Art. 5 Abs. 5 dem Betroffenen einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch, wenn seine Freiheit dem Art. 5 Abs. 1 EMRK zuwider beschränkt wurde (BGH, Urteil vom 18. Mai 2006, III ZR 183/05, NVwZ 2006, 960 f.). Weiter verbietet die EMRK in Art. 3 eine erniedrigende Behandlung. Entgegen den Ausführungen in der Berufungsbegründung (dort 5. 33 ff., BI. 129 ff. d.A.) hat das Landgericht diese rechtliche Bedeutung der EMRK jedoch nicht verkannt. Seine Ausführungen, wonach es keines (grundsätzlich möglichen) Rückgriffs auf die EMRK bedürfe, beziehen sich auf den Anspruch dem Grunde nach. Zutreffend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass sich insofern eine Haftung schon aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG ergibt. Der Prüfung einer zusätzlichen Anspruchsgrundlage wäre nur dann geboten, wenn sich daraus ein höherer Anspruch ergäbe als aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG. Das ist indes nicht ersichtlich.

Daran, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner am 4. April 2000 getroffenen Entscheidung in der Sache Litwa ./. Polen (Geschäfts-Nr. 26629/95) dem dortigen Kläger einen Ausgleich für immaterielle Schäden in Höhe von 8.000 neuen polnischen Sloty (PLN; umgerechnet ca. € 2.000,00) für eine nicht gemäß Art. 5 Abs. 1 EMRK gerechtfertigte Freiheitsentziehung von knapp 7 Stunden zugesprochen hat, ist der Senat nicht gebunden. Die materielle Rechtskraft ist im lndividualbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte durch die personellen, sachlichen und zeitlichen Grenzen des Streitgegenstands begrenzt (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004, 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 ff.). Über die hier nicht einschlägige Rechtskraftwirkung hinaus sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur insofern von deutschen Gerichten zu berücksichtigen, als sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention und ihrer Protokolle widerspiegelt, deren Gewährleistungen als im Range eines Bundesgesetzes geltendes Recht zur Kenntnis genommen und im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung in den Willensbildungsprozess des zur Entscheidung berufenen Gerichts einfließen müssen. Allgemeine Maßstäbe für die Bemessung einer angemessen immateriellen Entschädigung für Freiheitsentziehungen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Sache Litwa .1. Polen indes nicht entwickelt. Zur Höhe des gemäß Art. 41 EMRK zugesprochenen Betrages findet sich dort nur die pauschale Formulierung „Making its assessment an an equitable basis, the Court awards the applicant PLN 8.000 unter this head“. Dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte damit zum Ausdruck hätte bringen wollen, dass die EMRK grundsätzlich gebiete, bei vorübergehenden Freiheitsentziehungen ein höheres Schmerzensgeld zuzusprechen als dies in der Rechtsprechung nationaler Gerichte bislang angenommen worden ist, ist nicht ersichtlich. Im Übri¬gen unterscheidet sich der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedene Fall von dem vorliegenden insbesondere dadurch, dass der dortige Kläger stark sehbehindert und auf einen Blindenhund angewiesen war, so dass er den gegen ihn gerichteten staatlichen Maßnahmen hilfioser ausgeliefert war als die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist gemäß §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO ergangen. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.