Titel

Hessischer VerwGH, Beschluss vom 02.10.2020, Az. 2 B 2369/20


Mahnwache Dannenröder Forst: Generelles Verbot von Sitzblockaden gekippt

 


Zitiervorschlag: Hessischer VerwGH, Beschluss vom 02.10.2020, Az. 2 B 2369/20, zitiert nach POR-RAV


Teaser

Auch Blockadetrainings sind durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützt.

Leitsatz

1. Art. 8 GG schützt vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, auch Sitzblockaden.

2. Verhinderungsblockaden fallen nicht unter den Schutz der Versammlungsfreiheit.

3. Unter Art. 8 GG fällt auch das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters, Ort, Zeit und sonstige Modalitäten der Versammlung zu bestimmen.

4. Sitzblockaden einer Landesstrasse können auch für eine geplante Dauer von 5 Monaten täglich für einen Zeitraum von etwa 30 Minuten außerhalb der Schul- und Berufsverkehrszeit zugelassen werden.

Volltext

TENOR

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 23. September 2020 - 4 L 3142/20.GI - abgeändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 16. September 2020 wird ab dem 08. Oktober 2020 wiederhergestellt.

Der Antragsgegner erhält Gelegenheit, nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut darüber zu entscheiden, ob die Durchführung der Versammlung gemäß § 15 VersG von bestimmten Auflagen abhängig gemacht oder beschränkt wird.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt aus S bewilligt.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen hat der Antragsgegner zu tragen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

GRÜNDE

I. Der Antragsteller meldete mit Schreiben vom 27. August 2020 vier Mahnwachen für die Zeit vom 05. September 2020 bis zum 01. März 2020 (richtig 2021) an. Im Zusammenhang damit solle jeden Morgen ein Blockadetraining mittels Sitzblockaden auf der Straße für die Dauer von zwei bis drei Stunden stattfinden.

Als Zweck der Versammlung wurde der Protest gegen die drohende Räumung der Waldbesetzung im Dannenröder Wald sowie die drohende Rodung von Herrenwald, Maulbacher Wald und Dannenröder Wald für den Bau der A49 sowie das Werben für eine sozial-ökologische Verkehrswende einschließlich eines Verkehrswendeplans für Stadtallendorf und Umgebung angegeben. Geplant sei ein tägliches mehrstündiges Kundgebungs- und Kulturprogramm am Nachmittag.

Das morgendliche Blockadetraining solle ebenfalls die ablehnende Haltung gegen die Räumung und Rodung des Waldes ausdrücken und der Mobilisierung der Bevölkerung gegen die geplante Räumung und Rodung des Waldes dienen. Dabei gehe es nur um das Üben von Sitzblockaden; Pavillons und andere Aufbauten würden so aufgestellt, dass Rettungswege frei blieben.

Im Wege des Selbsteintritts nach §§ 85 Abs. 1 Nr. 2, 88 Abs. 1 Satz 1 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - HSOG -, dem die Überlastungsanzeige des Landrats des Vogelsbergkreises und der Städte Homberg (Ohm) und Stadtallendorf vorausgegangen waren, stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 04. September 2020 unter anderem fest, dass die angemeldeten Mahnwachen nicht dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unterfielen, soweit diese die Durchführung von (unfriedlichen) Verhinderungsblockaden, das Training von (unfriedlichen) Verhinderungsblockaden sowie von sonstigen Blockadeaktionen umfassten. Auf Antrag des Antragstellers stellte das Verwaltungsgericht Gießen mit Beschluss vom 14. September 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers wieder her, unter anderem soweit festgestellt worden war, dass die Durchführung von (unfriedlichen) Verhinderungsblockaden, das Training von (unfriedlichen) Verhinderungsblockaden sowie von sonstigen Blockadeaktionen nicht von dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit umfasst seien und die Durchführung von Blockadetrainings auf der Dannenröder Straße als Teilabschnitt der L 3343 untersagt worden war. In dem Beschluss wird ausgeführt, mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei die Feststellung des Antragsgegners offensichtlich rechtswidrig.

Am 16. September 2020 erging die hier streitgegenständliche Verfügung des Antragsgegners mit weiteren Auflagen/Anordnungen. Dem Antragsteller wurde im Bereich der Mahnwache "X... Mahnwache an der L3343 gegen die Räumung und Rodung des Dannenröder Waldes", Waldeingang L 3343, die Durchführung von Blockadeaktionen auf der Dannenröder Straße als Teilabschnitt der Landesstraße 3343 untersagt. Dem Versammlungsleiter wurde aufgegeben, diese Auflage den Versammlungsteilnehmern bekannt zu machen und für die Einhaltung und Durchsetzung zu sorgen. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet.

Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass ohne Auflagen durch die Blockadeaktionen eine unmittelbare Gefährdung der nach § 15 Abs. 1 VersG geschützten Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit bestünde. Zu den geplanten 2 - 3 Stunden für die Blockadeaktionen kämen noch die angekündigten Kundgebungen für ebenfalls 2 - 3 Stunden hinzu. Konkrete Zeitpunkte für die Blockadetrainings seien nicht angegeben worden, so dass offen sei, wann es zu einem Betreten der Straße mit gegebenenfalls bis zu 200 Personen komme. Es bestehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass es in allernächster Zeit zum Eintritt eines Schadens an den Rechtsgütern Leib und Leben von Versammlungsteilnehmern sowie von Verkehrsteilnehmern durch Unfallgeschehen auf der L 3343 kommen könne. Die Straße nehme in dem konkreten Bereich einen kurvigen und hügeligen Verlauf, so dass es an einer weiten Einsehbarkeit fehle. Auf Landesstraßen würden prinzipiell Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h gefahren und es herrsche nicht nur ganz vereinzelter Verkehrsfluss.

Mildere Mittel als die Totaluntersagung seien nicht erkennbar. Verkehrssperrungs- bzw. Lenkungsmaßnahmen kämen nicht in Betracht, weil damit eine unverhältnismäßige Beschränkung der Rechte Dritter verbunden wäre. Die genaue Zeit des Betretens der Straße sei nicht bekannt und eine Vollsperrung für die voraussichtliche Dauer von 2 - 3 und von bis zu 6 Stunden sei im Hinblick auf die Freiheitsrechte der anderen Verkehrsteilnehmer nicht hinnehmbar. Auch eine dauerhafte Umleitung bis zum 01. März 2021 komme nicht in Betracht, da die L 3343 die direkte Verbindung zwischen den Gemeinden Schweinsberg und Dannenrod sicherstelle und eine Umleitung nur unter erheblicher Streckenverlängerung über die Stadt Homberg (Ohm) möglich wäre. Eine alternative Teilsperrung der Straße durch Sperrung eines Fahrstreifens sei wegen der angegebenen Zahl der Versammlungsteilnehmer praktisch undurchführbar. Geschwindigkeitsbegrenzungen verminderten die durch das unkontrollierte sowie ungelenkte Betreten der Fahrbahn erhöhte Unfallrisiko nicht.

Außerdem sei zu befürchten, dass sich die angekündigten Blockaden auf der Landesstraße voraussichtlich zu Verhinderungsblockaden entwickeln würden. Verhinderungsblockaden seien daran zu erkennen, dass sie im Gegensatz zu bloß demonstrativen Blockaden nicht nur Proteste ausdrücken, sondern dasjenige verhindern wollten, was missbilligt werde. Verhinderungsblockaden stellten eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG dar und seien daher im Grundsatz verbotsfähig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfügung Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 18. September 2020 erweiterte der Antragsteller die bei dem Verwaltungsgericht Gießen bereits anhängige Klage um die Klage gegen die Auflagen-Verfügung des Antragsgegners vom 16. September 2020 und beantragte zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung.

Mit Beschluss vom 23. September 2020 - 4 L 3142/20.GI - lehnte das Verwaltungsgericht Gießen den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ab. Der angefochtene Bescheid sei rechtlich nicht zu beanstanden, die Untersagung der Blockadeaktionen sei rechtmäßig, denn es liege eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor, wenn die Dannenröder Straße als Teilabschnitt der Landesstraße 3343 täglich für wohl mindestens drei Stunden blockiert würde. Wie die Kammer schon im Beschluss vom 14. September 2020 im Verfahren - 4 L 3000/20.GI - festgestellt habe, handele es sich bei den angemeldeten Mahnwachen um rechtswidrige Verhinderungsblockaden. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf den angegriffenen Beschluss verwiesen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 24. September 2020, die mit Schriftsatz vom 30. September 2020 ergänzend begründet wurde. Der Antragsteller macht im Wesentlichen geltend, es handele sich nach der Anmeldung nicht um eine rechtswidrige Verhinderungsblockade. Das Verwaltungsgericht Gießen habe den Inhalt der Versammlungsanmeldung nicht zur Kenntnis genommen und sich auch nicht mit dem Vorbringen des Antragstellers auseinandergesetzt. Er habe im Verfahren - 4 L 3000/20.GI - eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, in der er u.a. versichert habe, keine Verhinderungsblockaden durchzuführen und örtlich sowie zeitlich nicht von den Angaben abzuweichen. Zudem habe er den Zeitpunkt der Sit-Ins auf täglich drei Stunden von 08.00 bis 11.00 Uhr konkretisiert. Ein Verbot im Vorfeld der Versammlung setze eine substantiiert begründete Gefahrenprognose voraus, die auf konkreten Tatsachen und nicht bloß auf Unterstellungen beruhe. Konkrete Tatsachen seien nicht benannt worden.

Sollte die Versammlung einen unfriedlichen Verlauf nehmen, bliebe der Versammlungsbehörde immer noch die Möglichkeit der Auflösung. Im Vordergrund des Sit-Ins stehe der öffentliche Protest mit der Absicht, öffentlich Aufmerksamkeit für bestimmte politische Belange zu erzielen und auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Eine Verhinderungsblockade könne ausgeschlossen werden, weil das Sit-In auf der L 3343 nicht geeignet sei, den Weiterbau der A 49 oder die Räumung und Rodung des Waldes zu verhindern.

Im Übrigen habe der Antragsteller nie darauf bestanden, dass die Versammlung um jeden Preis wie angemeldet stattfinden solle. Es wären noch weitere zeitliche Einschränkungen und andere mildere Mittel möglich. Drei Stunden seien aber verhältnismäßig. Die Landstraße L 3343 habe keine überregionale Bedeutung, es handele sich um eine kleine Landesstraße, die an der Stelle der Versammlung die Dörfer Schweinsberg und Dannenrod verbinde. Es gebe noch zahlreiche andere Straßen, über die die beiden Dörfer Schweinsberg und Dannenrod verbunden seien, u.a. über die L 3073 nach Homberg (Ohm).

Auf die weitere Begründung in der Beschwerdeschrift wird Bezug genommen.

Die angemeldeten Mahnwachen waren Gegenstand des zwischen den Beteiligten geführten Verwaltungsstreitverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Gießen - 4 L 3000/20 GI - und dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Der Senat hat mit Beschluss vom 25. September 2020 - 2 B 2335/20 - die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 04. September 2020 hinsichtlich einiger Anordnungen wiederhergestellt.

II. Die gemäß §§ 146 und 147 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die in der Verfügung des Antragsgegners vom 16. September 2020 als Auflage bezeichnete vollständige Untersagung der Blockadeaktionen nicht mit Art. 8 Abs. 1 GG vereinbar.

Der Senat vermag zum einen den vorliegenden Unterlagen die von dem Antragsgegner angenommene geplante Blockadedauer von täglich bis zu 6 Stunden nicht zu entnehmen. Der Antragsteller hat auf Seite 3 seiner Versammlungsanmeldung vom 27. August 2020 dargelegt, es solle jeden Morgen ein Blockadetraining stattfinden, durch das die ablehnende Haltung gegen die Räumung und Rodung des Waldes ausgedrückt werde. Dabei würden ausschließlich reine Sitzblockaden eingeübt, nicht aber Blockaden mit Gerätschaften oder sonstigen technischen Hilfsmitteln. Im Kooperationsgespräch vom 03. September 2020 hat der Antragsteller diese Angaben wiederholt. Es sei keine Aufforderung zu Verhinderungsblockaden, sondern es handele sich um rein demonstrative Blockaden und es gehe um 2 bis 3 Stunden täglich jeden Tag zur selben Zeit. Der Antragsteller übersandte außerdem eine eidesstattliche Versicherung vom 09. September 2020 an das Verwaltungsgericht Gießen, in der er erklärte, die "Sit-Ins"/ Blockadetrainings dienten nicht der tatsächlichen Verhinderung der Räumung und Rodung des Waldes. Er werde nicht von den angemeldeten Örtlichkeiten abweichen und auch nicht vom angemeldeten Zeitraum. Nach spätestens 3 Stunden würden die einmal täglich stattfindenden "Sit-Ins"/Blockadetrainings beendet. Es würden keine technischen Geräte als Hilfsmittel der Blockadetrainings benutzt, insbesondere würde sich nicht festgekettet. Angesichts dieser Erklärungen spricht nichts dafür, dass die Blockadetrainings länger als 3 Stunden dauern sollen.

Nach den Angaben des Antragstellers im bisherigen Verfahren ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich um unerlaubte Verhinderungsblockaden handelt.

Unter einer durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Versammlung wird eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung verstanden. Der Schutz umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, auch Sitzblockaden zählen dazu. Die Teilnehmer einer Versammlung können durch ihre bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen, sie können ihre Meinung auch durch so bezeichnete demonstrative Blockaden zum Ausdruck bringen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 07.03.2011 - 1 BvR 388/05 -). Nicht unter den Schutz der Versammlungsfreiheit fallen hingegen sogenannte Verhinderungsblockaden. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu bloß demonstrativen Blockaden nicht nur Protest ausdrücken, sondern dasjenige verhindern wollen, was missbilligt wird (vgl. dazu Hamburgisches OVG, Beschluss vom 03.07.2017 - 4 Bs 142/17 -, juris Rn. 70). Art. 8 GG schützt die Teilhabe an der Meinungsbildung, nicht aber die zwangsweise oder sonst wie selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen (BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 - Rn. 42).

Verhinderungsblockaden plant der Antragsteller nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen nicht. Zweck der Demonstration ist der Protest gegen den Weiterbau der A 49 und die damit im Zusammenhang stehende drohende Räumung der Waldbesetzung im Dannenröder Wald sowie die drohende Rodung von Herrenwald, Maulbacher Wald und Dannenröder Wald. Der Antragsteller setzt sich für eine sozial-ökologische Verkehrswende einschließlich eines Verkehrswendeplans für Stadtallendorf und Umgebung ein. Dafür soll unter anderem ein tägliches mehrstündiges Kundgebungs- und Kulturprogramm eingesetzt werden und eben auch die tägliche Blockadeaktion auf der Fahrbahn der L 3343. Sie soll auch der Mobilisierung der Bevölkerung gegen die geplante Räumung und Rodung des Waldes dienen.

Alleine das tägliche Sitzen auf der L 3343 für maximal 3 Stunden ist aber - auch nach der Einschätzung des Antragstellers, wie er in der Beschwerdebegründung mitteilt - nicht dazu geeignet, die kritisierten künftigen Ereignisse zu verhindern und soll nach der insoweit maßgeblichen Planung des Antragstellers auch nicht dafür genutzt werden.

Die Erwägungen des Antragsgegners insbesondere auf Seite 12 der angegriffenen Verfügung, tatsächlich müsse davon ausgegangen werden, dass Verhinderungsblockaden stattfinden sollten, weil die Räumung und Rodung des Waldes verhindert werden solle, dies sei auch das eigentliche Ziel der Blockadetrainings, sind nicht vereinbar mit dem Selbstbestimmungsrecht des Grundrechtsinhabers aus Art 8 Abs. 1 GG über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung zu bestimmen. Eine Bewertung der Eignung oder der Sinnhaftigkeit einer Versammlung sowie der in ihrem Rahmen geplanten versammlungsspezifischen Aktionen und Ausdrucksformen im Hinblick auf den jeweils bezweckten Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung steht den grundrechtsgebundenen staatlichen Stellen nicht zu (BVerfG, Beschluss vom 21.09.2020 - 1 BvR 2152/20 -).

Die Blockadetrainings sind durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützt. Die tatsächliche Ausgestaltung muss jedoch so erfolgen, dass eine unverhältnismäßige Belastung Dritter vermieden wird. Das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters einer Demonstration hat unter Umständen hinter kollidierenden Rechten Dritter und gewichtigen Sicherheitsbelangen zurückzutreten. Während bei innerörtlichen Straßen und Plätzen, bei denen die Widmung die Nutzung zur Kommunikation und Informationsverbreitung einschließt, Einschränkungen oder gar ein Verbot aus Gründen der Verkehrsbehinderung nur unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen, darf den Verkehrsinteressen bei öffentlichen Straßen, die allein dem Straßenverkehr gewidmet sind, größere Bedeutung beigemessen werden, so dass das Interesse des Veranstalters und der Versammlungsteilnehmer an der ungehinderten Nutzung einer solchen Straße gegebenenfalls zurückzutreten hat (Hess. VGH, Beschluss vom 14.06.2013 - 2 B 1359/13).

Auf Seiten des Veranstalters der Versammlung ist das Selbstbestimmungsrecht zu berücksichtigen, Ort, Zeit und sonstige Modalitäten der Versammlung zu bestimmen. Der Straßenabschnitt, auf dem die Sitzblockade durchgeführt werden soll, weist einen besonderen Ortsbezug zu dem Versammlungsthema auf, weil die L 3343 im weiteren Verlauf durch den Dannenröder Wald führt.

Auf der anderen Seite stehen die Interessen aller anderen Verkehrsteilnehmer, die die L 3343 benutzen möchten, weil während der Dauer der Sitzblockaden zum Schutz von Leib und Leben aller Beteiligten eine Sperrung der Straße zu erfolgen hätte. Zugunsten der Verkehrsteilnehmer ist zu bedenken, dass die Blockadeaktion jeden Tag stattfinden soll und zwar für - nunmehr noch - etwa 5 Monate. Bewohner der kleinen Orte Dannenrod und Schweinsberg, die die Straße benutzen wollen, wären über einen relativ langen Zeitraum täglich einer Behinderung ausgesetzt. Angesichts der nunmehr von dem Antragsteller anvisierten Zeitspanne von 8.00 bis 11.00 Uhr - die im Übrigen, nicht wie vorgetragen, in der eidesstattlichen Versicherung angegeben war - wäre auch eine Hauptverkehrszeit betroffen, die unter Umständen den Verkehr zur Schule oder zum Arbeitsplatz zu erheblichen Umwegen zwingen würde. In kleinen Ortschaften im ländlichen Raum sind die Einwohner vermehrt auf ein Pendeln in größere Ortschaften angewiesen. Anders als im städtischen Bereich sind die Möglichkeiten, auf alternative Verkehrsmittel und -routen auszuweichen, deutlich geringer.

Ein Ausgleich der widerstreitenden Interessen des Antragstellers bzw. der Versammlungsteilnehmer und den Interessen aller übrigen Verkehrsteilnehmer, die die L 3343 befahren möchten, könnte etwa dergestalt erfolgen, dass Sitzblockaden täglich für einen Zeitraum von etwa 30 Minuten außerhalb der Schul- und Berufsverkehrszeit zugelassen werden. Die Sitzblockaden sollten auch jeweils zur vorher festgelegten gleichen Zeit stattfinden, damit sich die Verkehrsteilnehmer darauf einrichten könnten.

Die konkrete Ausgestaltung obliegt der pflichtgemäßen Ermessensentscheidung des Antragsgegners. Zuvor wird allerdings ein erneutes Kooperationsgespräch stattzufinden haben, bei dem der Antragsteller konkrete Zeiten für die Sitzblockaden benennen muss.

Der Senat stellt die aufschiebende Wirkung erst ab dem 08. Oktober 2020 wieder her, damit Zeit zur Durchführung des Kooperationsgesprächs und für die Vorbereitung der erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen verbleibt.

Die Kostenverteilung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 47 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes − GKG − i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Nach Nr. 45.4 des Streitwertkatalogs ist bei einem Versammlungsverbot die Hälfte des Auffangwerts anzusetzen, mithin 2.500,- €. Dieser Wert ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache hier nicht zu halbieren (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 S. 3, 68 Abs. 1 S. 5 GKG).