Titel

LG Köln, Urteil vom 15.05.2012, Az. 5 O 307/11
Schmerzensgeld für rechtswidrigen Gewahrsam

 


Zitiervorschlag: LG Köln, Urteil vom 15.05.2012, Az. 5 O 307/11, zitiert nach POR-RAV


Gericht:

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Teaser

Schmerzensgeld in Höhe von 600,- € für eine rechtswidrige Freiheitsentziehung für die Dauer von 14 Stunden in Polizeikessel und Gefangenensammelstelle (Käfig) während der Aktionen gegen den Anti-Islam-Kongress 2008 in Köln

Leitsatz

Bei der Bemessung der Entschädigung einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung sind die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung, der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers sowie alle sonstigen Umstände einzubeziehen, die dem einzelnen Fall sein besonderes Gepräge geben.

Volltext

TENOR

1.) Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 500,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.01.2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2.) Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits. 3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

GRÜNDE

Tatbestand

Der Kläger verlangt Schmerzensgeld wegen einer Amtspflichtverletzung.

Der Kläger befand sich am 20.09.2008 in Köln. Er wurde gegen 16.30 Uhr mit anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die gegen eine Veranstaltung von "Pro Köln" protestieren wollten, von Bediensteten der Polizei auf der Siegburger Straße eingekesselt. Gegen 20.00 Uhr wurde der Kläger in einem Bus zur Gefangenensammelstelle nach Brühl gebracht. Dort wurden seine Personalien aufgenommen und Lichtbilder von ihm gefertigt. Der Kläger wurde durchsucht. Die Nacht über verbrachte er mit weiteren Personen in der Gewahrsamseinrichtung Nr. 9. Am nächsten Morgen wurde er gegen 05.30 Uhr herausgeführt, ihm wurden seine mitgeführten Gegenstände ausgehändigt. Anschließend wurde er in einen Gefangenentransporter verbracht, der zum Bahnhof in Brühl fuhr. Dort wurde der Kläger um 06.30 Uhr in Freiheit entlassen. Das Verwaltungsgericht Köln - 20 K 7418/08 - stellte mit Urteil vom 13.08.2010 fest, dass bestimmte Maßnahmen gegen den Kläger rechtswidrig waren. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage 2 (Bl. 3 ff. des Anlagenheftes) verwiesen. Das beklagte Land zahlte dem Kläger als Schmerzensgeld für die widerrechtliche Ingewahrsamnahme 100,- €. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger Zahlung in Höhe von weiteren mindestens 700,- €.

Der Kläger ist der Meinung, ein solches Schmerzensgeld sei angesichts der erlittenen Behandlung angemessen.

Der Kläger beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, in Höhe von insgesamt mindestens 700,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen 4 Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt, die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land ist der Meinung, die außergerichtlich geleistete Entschädigungszahlung in Höhe von 100,-- € stelle angesichts der damaligen Umstände eine ausreichende und angemessene Entschädigungsleistung dar.

Das beklagte Land verweist auf das Prozesskostenhilfeverfahren Landgericht Köln 5 0 295/11. Die Akte war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze einschließlich der beigefügten Unterlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe: Die Klage ist überwiegend begründet.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von weiterem Schmerzensgeld in Höhe von 500,- € aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG und aus Art. 5 Abs. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK) zu.

Das Vorgehen der Polizei war rechtswidrig. Insofern wird auf das für die Kammer bindende Urteil des Verwaltungsgerichts Köln — 20 K 7418/08 — vom 13.08.2010 verwiesen. Das Verhalten der Polizei war auch schuldhaft, fahrlässig, wobei für den Anspruch nach Art. 5 Abs. 5 MRK Verschulden nicht erforderlich ist.

Als Entschädigung ist ein Schmerzensgeldbetrag in Höhe von insgesamt 600,- € angemessen, wovon nach der Zahlung des beklagten Landes in Höhe von 100,- € noch ein Betrag von 500,- € offen steht.

Bei der Bemessung der Entschädigung sind die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung, der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers sowie alle sonstigen Umstände einzubeziehen, die dem einzelnen Fall sein besonderes Gepräge geben, wozu auch der Grad des Verschuldens des Schädigers gehört.

Der Kläger wurde zwar rechtswidrigen Maßnahmen der Polizei ausgesetzt. Dies betraf insbesondere die Identitätsfeststellungen am 19.09.2008 und am 20.09.2008 sowie die Freiheitsentziehung durch das beklagte Land vom 20.09.2008 gegen 16.30 Uhr bis 21.09.2008 gegen 06.30 Uhr. Er hat jedoch bereits durch das vorgenannte Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, welches die Maßnahmen für rechtswidrig erklärt hat, in gewissem Umfang Genugtuung erfahren. Ein hoher Grad des Verschuldens oder ein erhebliches Fehlverhalten der handelnden Polizeibeamten liegt dabei nicht vor. Inwieweit der Kläger über Hunger bzw. Durst geklagt hat, kann dabei dahinstehen, da er jedenfalls noch am Abend des 20.09.2008 Getränke und Verpflegung erhielt.

Im Gegensatz zu dem Verfahren Landgericht Köln 5 O 295/11, bei dem der Kläger am 20.09.2008 in der Zeit von ca. 15.00 Uhr bis ca. 21.15 Uhr eingekesselt gewesen ist, wurde der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit zur Gefangenensammelstelle nach Brühl gebracht und musste dort die Nacht verbringen. Zudem fanden weitere, im Urteil des Verwaltungsgerichts Köln festgestellte, rechtswidrige Maßnahmen ihm gegenüber statt. Dies rechtfertigt das gegenüber dem Verfahren Landgericht Köln 5 O 295/11 erhöhte Schmerzensgeld.

Der Zinsanspruch ist gemäß § 291 BGB ab Zustellung der Klageschrift am 20.01.2012 gerechtfertigt.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.