Titel

LG Lüneburg, Beschluss vom 02.08.2005, Az. 10 T 38/05
Auch unfriedliche Versammlungen müssen aufgelöst werden

 


Zitiervorschlag: LG Lüneburg, Beschluss vom 02.08.2005, Az. 10 T 38/05, zitiert nach POR-RAV


Gericht:

Aktenzeichen:

Datum:


Teaser

Die Betroffene war Teil einer Versammlung auf Bahngleisen im Zuge des Castor 2002, bei der sich einige der Teilnehmer angekettet hatten. Sie wurde ohne Auflösungsverfügung sofort in Gewahrsam genommen und 12 Stunden festgehalten. Nachdem das Amtsgericht entschieden hatte, die Freiheitsentziehung sei gerechtfertigt gewesen, weil die Versammung unfriedlich gewesen sei und eine Auflösungsverfügung daher entbehrlich gewesen sei, stellte das Landgericht jetzt klar, dass Ankettaktionen nicht unfriedlich sind. Außerdem müssen auch unfriedliche Versammlung zunächst aufgelöst werden, bevor Maßnahmen auf das allgemeine Polizeirecht gestützt werden kann.

Leitsatz

1. Gleisblockaden sind nicht unfriedlich, auch wenn sich hierbei Menschen an die Schiene gekettet haben. 2. Auch unfriedliche Versammlungen müssen aufgelöst werden.

Volltext

Landgericht Lüneburg Geschäfts.Nr: 10 T 38/05

39 XIV 138/02 L Amtsgericht Dannenberg TENOR:

Auf die sofortige Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Dannenberg vom 24.03.2005 (12 XIV 138/02 L) aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Freiheitsentziehung der Betroffenen am 13.11.2002 dem Grunde nach von Anfang an rechtswidrig war

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beteiligte. Der Beschwerdewert wird auf 3..000,-€ festgesetzt. Die sofortige weitere Beschwerde wird nicht zugelassen

GRÜNDE: I.

Die Betroffene wurde am 13.11 2002 gegen 10:42 Uhr in einer Gruppe von etwa 10 Personen auf dem Gleisbett der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg in Höhe Leitstade bei Bahnkilometer 192,9 angetroffen. Zwei Personen der Gruppe hatten sich an die Schienen gekettet, während sich die übrigen Personen, darunter auch die Betroffene, neben die Schienen in den Schotter gesetzt hatten. Mit amtlich bekannt gemachter Allgemeinverfügung der Bezirksregierung Lüneburg vom 26.10.2002 war für diese Castortransportstrecke einschließlich eines Bereichs von 50 m beiderseits der Schienen ein Versammlungsverbot angeordnet worden.

Ohne weitere Angaben, insbesondere ohne vorherige Auflösungsverfügung, wurde die Betroffene zusammen mit den anderen Personen von den Gleisen auf einen neben den Gleisen belegenen Waldweg verwiesen und dort wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz in Gewahrsam genommen.

Anschließend wurde die Gruppe dem nahe gelegenen Bahnhof Leitstade zugeführt, wo im Rahmen der Feststellung der Personalien und Durchsuchung der Personen eine Festnahme geprüft wurde. Es verblieb bei der Betroffenen bei der bereits ausgesprochenen lngewahrsamnahme. Von dort aus wurde die Gruppe gegen 13.45 Uhr in Transportfahrzeugen in die Gefangenensammelstelle nach Neu Tramm verbracht, wo der Transport gegen 15:54 Uhr eintraf. Die Aufnahme der Betroffenen in der GeSa erfolgt um 16:26 Uhr. Um 17:35 wurde sie nach Durchführung eines ihr genehmigten Telefongesprächs dem Zellengewahrsam zugeführt. Um 22:48 Uhr wurde die Betroffene von dem zuständigen Amtsrichter angehört, der durch Beschluss die unverzügliche Freilassung der Betroffenen aus dem Polizeigewahrsam angeordnet hat, weil die Voraussetzungen der lngewahrsamnahme inzwischen weggefallen seien.

Der Castortransportzug war um 16:45 Uhr im Bahnhof Dannenberg Ost eingefahren.

Die Betroffene hat beantragt, die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung nachträglich festzustellen. Auf eine persönliche Anhörung hat sie in der ersten Instanz verzichtet.

Das Amtsgericht Dannenberg hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 24. März 2005 den Antrag der Betroffenen zurückgewiesen und dies damit begründet, dass die lngewahrsamnahme unerlässlich gewesen, um einen Eingriff der Betroffenen in den Bahnkörper und den Bahnbetrieb, welches eine Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit dargestellt hätte, zu verhindern. Da die Gruppe, zu der auch die Betroffene gehörte, keine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes dargestellt habe, da sie sich zu unfriedlichem und gesetzeswidrigem Tun zuvor im Wald aufgehalten und nicht zum Zwecke der Meinungsäußerung getroffen hatte, genieße sie auch nicht den Schutz des Versammlungsgesetzes

Gegen diesen ihr am 13.04.2005 zugestellten Beschluss hat die Betroffene am 21.04.2005 sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Die freiheitsbeschränkende Gewahrsamnahme der Betroffenen am 13.11.2002 war rechtswidrig, da vor der lngewahrsamnahme keine erforderliche Auflösungsverfügung erging.

Die Beteiligte stützt ihr Vorgehen gegen die Betroffene auf die Vorschriften des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz. Die Vorschriften der Ingewahrsamnahme (§ 18 NGefAG) sind aber nur dann anwendbar, wenn die betroffene Personenansammlung keine Versammlung im Sinne des § 1 Versammlungsgesetz darstellt oder nachdem eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes rechtswirksam beendet worden ist. Das Versammlungsgesetz geht nämlich als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor.

Hier konnte die Beteiligte nicht aufgrund des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes tätig werden, da die betroffenen Demonstranten an einer Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes teilnahmen und diese Versammlung nicht aufgelöst worden ist.

Eine Versammlung ist nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der Öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (BVerfGE 104, 92 (104f). Diese Voraussetzungen sind vorliegend entgegen der Auffassung des Amtsgerichts gegeben, da die an den Gleisen versammelten Personen sich dort mit dem Ziel zusammengefunden hatten, ihrem Protest gegen die Castor-Transporte Ausdruck zu verleihen.

Eine Auflösung dieser Versammlung ist auch nach Angaben der Beteiligten nicht erfolgt. Eine Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs.2 Versammlungsgesetz war aber auch dann zum Zwecke der Beendigung der Versammlung nicht entbehrlich, wenn man der Auffassung der Beteiligten und des Amtsgerichts folgen wurde, dass es sich um eine unfriedliche Versammlung gehandelt habe. Auch Maßnahmen, durch welche eine unfriedliche Versammlung unterbunden werden soll, weil sie die Grenzen der Versammlungsfreiheit überschreitet, können nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes getroffen werden (vgl.OVG Bremen, NVwZ, 1987, 235(236); Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 13. Auflage, § 1 Rn. 188). Selbst wenn die Versammlung also unfriedlich gewesen sein sollte, hätte es einer Auflösungsverfügung nach § 15 Abs. 2 Versammlungsgesetz bedurft, wenn die Beteiligte das Ende der Versammlung hätte herbeiführen wollen.

Im übrigen ist das Verhalten der Demonstranten gemessen an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als unfriedlich zu klassifizieren, so dass es sich nicht einmal um eine unfriedliche Versammlung gehandelt hat.

Unfriedlich ist eine Versammlung nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden, nicht schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen (vgl. BVerfGE 73,206 (248); 104, 92 (106)). Allein die Ankettung der Teilnehmer von Blockadeaktionen führte nicht zu der so umschriebenen Gefährlichkeit für Personen oder Sachen und damit zur Unfriedlichkeit im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG (a.a.O). Auch das Verhalten der Demonstranten der Gleisblockade in Leitstade überschritt diese Grenze zur Unfriedlichkeit nicht. Aggressives Verhalten der Demonstranten hat die Beteiligte selbst nicht behauptet. Selbst die beiden Demonstranten, die sich mittels Metallhülsen an die Schienen gekettet hatten, haben keine aggressiven Ausschreitungen gegenüber Sachen begangen, da sie zum Zwecke der Ankettung lediglich einige Schottersteine unter den Schienen beseitigt hatten, um die Metallhülse so unter den Schienen durchschieben zu können. Eine Beschädigung der Schienen haben sie nicht vorgenommen. Insgesamt war das Verhalten der Demonstranten durch Passivität geprägt. Zwar bedurfte es mehrfache Aufforderungen zum Verlassen der Gleise, Widerstand gegen die Ingewahrsamnahme leisteten die Betroffenen indes nicht.

Da eine Auflösungsverfugung nach § 15 Abs. 2 Versammlungsgesetz nicht ergangen ist, war die Freiheitsentziehung der Betroffenen von Anfang an dem Grunde nach rechtswidrig.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 13a Abs,. 1 Satz 1 FGG, 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 Satz 1, 3 Satz 1 KostO.

IV.

Die sofortige weitere Beschwerde war nicht zuzulassen, da die zur Entscheidung stehenden Fragen nicht von grundsätzlicher Bedeutung sind.

Kommentar

Mit erfreulicher Klarheit stellt die Entscheidung fest, dass Ankettaktionen keine unfriedlichen Versammlungen sind. Selbst wenn einige Schottersteine weggeräumt werden müssen, um das Rohr unter der Schiene durchzuschieben, sei dies keine Gewalt gegen Sachen. Das Gericht hat die Gelegenheit auch genutzt um klarzustellen, dass jede Versammlung - auch unfriedliche - aufgelöst werden müssen, bevor Maßnahmen auf das allgemeine Polizeirecht gestützt werden können.