Titel

LG Lüneburg, Beschluss vom 08.11.2006, Az. 10 T 21/04
Bei rechtswidriger Freiheitsentziehung, hat die Polizei die Kosten des Verfahrens zu tragen

 


Zitiervorschlag: LG Lüneburg, Beschluss vom 08.11.2006, Az. 10 T 21/04, zitiert nach POR-RAV


Gericht:

Aktenzeichen:

Datum:


Teaser

Zur Billigkeit der Kostenentscheidung nach § 13a FGG

Leitsatz

1. Für andere Grundrechtsverstöße als die Gehörsverletzungen ist die Gegenvorstellung statthaft. Die außerordentlichen Beschwerde im FGG-Verfahren ist nicht mehr zulässig. 2. Das grundrechtliche Rehabilitierungsinteresse verlangt, daß Betroffene von Kosten für Gerichtsentscheidungen, die vom BVerfG aufgehoben wurden, freigestellt werden. Kosten, die auf fehlerhafter Sachbehandlung durch die Vorinstanzen beruhen, sind der Landeskasse aufzuerlegen. 3. Es entspricht nicht der Billigkeit, Betroffene trotz festgestellter Grundrechtsverletzungen mit Kosten zu belasten. Eine solche Belastung mit Kosten stellt keine hinreichende Rehabilitation sowie einen Verstoß gegen die Rechtsweggarantie und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes dar.

Volltext

TENOR:

Auf die Gegenvorstellung der Betroffenen wird der Beschluss der Kammer vom 31.8.2006 in der Kostenentscheidung teilweise aufgehoben sowie teilweise ergänzt und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Kosten der erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Amtsgericht werden niedergeschlagen.

Die außergerichtlichen Auslagen der Betroffenen in den erstinstanzlichen Verfahren sowie im Beschwerdeverfahren vor Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2005 trägt die Landeskasse (Justizfiskus).

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Betroffene, soweit ihre sofortige Beschwerde zurückgewiesen wurde. Im übrigen werden keine Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren erhoben.

Die außergerichtlichen Auslagen der Betroffenen im Beschwerdeverfahren nach Zurückverweisung durch das Bundesverfassungsgericht trägt die Beteiligte zu 2/3.

Die weitergehende Gegenvorstellung/ Anhörungsrüge der Betroffenen wird zurückgewiesen.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Betroffenen im Verfahren über die Gegenvorstellung/Anhorungsrüge trägt die Landekasse (Justizfiskus).

Wert der Gegenvorstellung 1060 €

GRÜNDE:

I. Die Betroffene wendet sich mit ihrem als außerordentliche Beschwerde, „hilfsweise Gegenvorstellung und äußerst hilfsweise Anhörungsrüge“ bezeichneten Rechtsbehelf gegen die Kostenentscheidung im Beschluss der Kammer vom 31. August 2006. Wegen der Prozessgeschichte und der dort getroffenen Entscheidung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Beschluss der Kammer vom 31. August 2006 verwiesen.

Die Betroffene beantragt:

den Beschluss zu ergänzen auszusprechen, dass der Betroffenen die außergerichtlichen Kosten für das Verfahren vor dem Amtsgericht und das erste Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht sowie das jetzt entschiedene Beschwerdeverfahren aus der Landeskasse- hilfsweise von der beteiligten Behörde- zu erstatten sind.

II.

1. Auf den Rechtsbehelf der Betroffenen war ergänzend — insoweit erstmalig- über die Kosten der erstinstanzlichen Verfahren sowie des ersten Beschwerdever-fahrens vor Zurückverweisung der Sache an die Beschwerdekammer zu entscheiden, weil diese Kosten bei Beschlussfassung am 31. August 2006 nicht berücksichtigt worden waren und die Kostenentscheidung daher unvollständig war.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht bindend festgestellt hat, dass die erstinstanzliche Entscheidung sowie die erste Beschwerdeentscheidung die Betroffene in ihren Grundrechten verletzt haben, waren die insoweit angefallenen Gerichtskosten gem. § 16 Abs. 1 S. 1 KostO wegen unrichtiger Sachbehandlung durch die Gerichte niederzuschlagen. Da jedoch das gesamte Beschwerdeverfahren vor und nach Zurückverweisung durch das Bundesverfassungsgericht kostenrechtlich als Einheit zu behandeln ist und daher durch die unrichtige Sachbehandlung keine zusätzlichen Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren entstanden sind, war eine Entscheidung nur hinsichtlich der Verfahrenskosten der ersten Instanz zu treffen.

Die Erstattung außergerichtlicher Auslagen in Freiheitsentziehungsverfahren nach dem NGefAG / Nds. SOG ist in § 13 a FGG geregelt. Nach § 13 a Abs. 1 FGG können die Auslagen einem Beteiligten auferlegt werden, wenn dies der Billigkeit entspricht. Da hier die Kosten erster Instanz wie der ersten Beschwerdeinstanz nicht auf ein Verschulden der Beteiligten, sondern auf eine - nach den bindenden Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts fehlerhafte Sachbehandlung durch die Gerichte entstanden sind, entsprach es nicht der Billigkeit, die Beteiligte mit diesen Kosten zu belegen. Da diese Entscheidungen und die hierdurch verursachten Kosten die Betroffene in ihren Grundrechten verletzt haben, kann andererseits aber auch die Betroffene nicht mit diesen Kosten belastet werden. Das grundrechtliche Rehabilitierungsinteresse, dem aufgrund der Aufhebung und Zurückverweisung durch das Bundesverfassungsgericht Rechnung getragen wurde, musste vielmehr auch auf die Kostenentscheidung durchschlagen.

Ob und in welchem Umfang eine Auferlegung außergerichtlicher Auslagen auf die Staatskasse in Frage kommt, wird in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beurteilt. Weitgehend Einigkeit besteht dahingehend, dass eine analoge Anwendung des § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG zu diesem Zweck nicht in Betracht kommt, da die Staatskasse nicht Beteiligte im Sinne der Vorschrift ist (vgl. OLG München, Beschl. v. 7.7.2006, 33 Wx 146/05 rn.w.N.).

Der Sachverhalt, dass die Rechtswidrigkeit einer Unterbringung nicht auf einem fehlerhaften Antrag der zuständigen Behörde, sondern auf Rechtsfehlern der lnstanzgerichte beruht, ist in § 13 a FGG nicht ausdrücklich geregelt. Der Gedanke, dass in Betreuungs- und Unterbringungssachen faktischer Gegner des Betroffenen der Staat ist, hat jedoch in § 13 a Abs. 2 S. 1 FGG seinen Niederschlag gefunden. Obsiegt der Betroffene, muss ihm die Staatskasse seine Kosten ersetzen. Dieser dem Freiheitsgrundrecht des Betroffenen in Unterbringungssachen entstammende Rechtsgedanke ist auf den hier vorliegenden Fall einer Freiheitsentziehung nach Polizeirecht bzw. deren rechtliche Bewertung durch die Instanzgerichte zu übertragen und führt allein zu einer angemessenen Verteilung des Kostenrisikos. Gleiches muss für die Kosten des im wesentlichen erfolgreichen Verfahrens der Gegenvorstellung/ Anhörungsrüge der Betroffenen gelten, weil diese zur Durchsetzung des Rehabiiitierungsinteresses im Hinblick auf die Kosten erforderlich waren.

2. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Zurückverweisung durch das Bundesverfassungsgerichtes war im Beschluss der Kammer vom 31.8.2006 bereits eine Kostenentscheidung getroffen worden. Diese war aufgrund der von der Betroffenen erhobenen Gegenvorstellung teilweise aufzuheben.

Der Rechtsbehelf der Betroffenen war zugunsten der Betroffenen nach dem Prinzip der Meistbegünstigung als das einzig überhaupt Erfolg versprechende Rechtsmittel der Gegenvorstellung auszulegen. Mit der Rechtsmittelschrift macht die Betroffene geltend, durch die Kostenentscheidung in ihren Grundrechten verIetzt zu sein. Eine außerordentliche Beschwerde wird auf Grundlage des Plenarbeschlusses des Bundesverfassungsgerichtses vom 30.4.2003, BVerfG NJW 2003, 1924 allgemein als nicht mehr statthaft angesehen (vgl. Keidel/Kuntze/ Winkler, FGG, 15. Aufl., § 29 a, Rn. 26). Die Anhörungsrüge gem. § 29 a Abs. 1 FGG ist nur statthaft zur Geltendmachung einer Gehörsverletzung. Die Betroffene macht zwar u.a. auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, behauptet aber der Sache nach im wesentlichen eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts, der Rechtsweggarantie sowie des Rechtsstaatsgebotes; ungeachtet dessen, dass eine Gehörsverletzung durch Unterlassen eines Hinweises zur beabsichtigten Kostenentscheidung bei einer Kostenentscheidung, die nach Billigkeitsgesichtspunkten zu treffen ist, ohnehin nicht gegeben sein dürfte, ist die Anhörungsrüge aber auch ihrem Anwendungsbereich nach von vornherein nicht zur Geltendmachung der behaupteten weiteren Grundrechtsverletzungen, die den argumentativen Schwerpunkt der Beschwerdeschrift darstellen, geeignet. Eine, entsprechende Anwendung des § 29 a FGG auf die Verletzung anderer Verfahrensgrundsätze scheidet von vornherein aus, weil sie dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers widerspräche und der Einführung eines förmlichen Rechtsbehelfs durch Richterrecht gleichkäme (Keidel/ Kuntze/ Winkler, FGG, 15. Aufl., § 29 a, Rn. 27). Für die Geltendmachung anderer Grundrechtsverstöße als der Gehörsverletzung kommt damit grundsätzlich nur noch die in der Rechtsprechung bis hin zum Bundesverfassungsgericht anerkannte Gegenvorstellung in Betracht, um eine verfassungsrechtlich gebotene Korrektur durch das erkennende Instanzgericht selbst zu ermöglichen (vgl. Keidel/ Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 29 a, Rn. 28 m.w.N.). Form und Frist des insoweit entsprechend anwendbaren § 29 a Abs. 2 FGG (vgl. Keldel/ Kuntze/ Winkler, FGG, 15. Aufl., § 29 a, Rn. 28) sind hier gewahrt, so dass die Gegenvorstellung auch zulässig ist.

Die Gegenvorstellung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange begründet. Bei der durch Beschluss der Kammer vom 31.8.2006 getroffenen Kostenentscheidung waren die oben geschilderten kostenrechtlichen Auswirkungen des grundrechtlichen Rehabilitierungsinteresses, dem durch Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung ab 13.09 Uhr in der Sache Rechnung getragen wurde, nicht berücksichtigt worden. Dem festgestellten Verstoß gegen das Freiheitsgrundrecht der Betroffenen wurde damit im Hinblick auf die von ihr zu tragenden Kosten nicht ausreichend Rechnunggetragen,so dass die Betroffene trotz des festgestellten Grundrechtsvestoßes durch den Beschluss der Kammer nicht hinreichend rehabilitiert wurde. Damit stellt die getroffene Kostenentscheidung einen Verstoß gegen die Rechtsweggarantie und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes dar, die im Rahmen der erhobenen Gegenvorstellung zu beheben sind.

Die Kostenentscheidung war nach § 13 a Abs. 1 FGG zu treffen. Die oben geschilderten Umstände, die zu einer Auflegung der Auslagen für die erste Instanz auf die Staatskasse geführt haben, liegen hier nicht vor. Denn die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung ab 13.09 Uhr beruhte vorwiegend nicht auf einem Verhalten der Justiz. Zwar waren die im einzelnen zur Verzögerung der Vorführung und zur Ausgestaltung des Gewahrsams führenden Gründe nicht mehr im einzelnen aufzuklären. Jedoch lagen diese zumindest bis zum Eintritt der Nachtzeit und der Beendigung des richterlichen Eildienstes gegen 22.00 Uhr im Organisations- und Machtbereich der Polizei. Auf dieser Grundlage entspricht es der Billigkeit, die außergerichtlichen Auslagen der Betroffenen in einem ihrem Obsiegen entsprechenden Umfange der Beteiligten aufzuerlegen.

Soweit die Betroffene allerdings letztendlich unterlegen ist, hat sie ihre Auslagen selbst zu tragen. Denn die zu der zunächst rechtmäßigen Freiheitsentziehung führenden Umstände hat sie durch ihr eigenes Verhalten verursacht. Auf dieser Grundlage erscheint es als angemessen, sie insoweit in Übereinstimmung mit dem gesetzlichen Regelfall des § 13 a Abs. 1 FGG auch ihre eigenen Auslagen tragen zu lassen.

Dieses Teilunterliegen führt hier unter Berücksichtigung der Erheblichkeit der Grundrechtsverstöße für die Betroffene- anders als in anderen bereits entschiedenen Fällen der Kammer- nicht zu einem vollständigen Ausschluss der Auslagenerstattung nach § 13 a Abs. 1 FGG. Anders als in den bisherig entscheidenden Fällen ist hier nämlich zu berücksichtigen, dass die Freiheitsentziehung nicht nur der überwiegenden Stundenzahl und damit der Dauer nach, sondern darüber hinaus auch aufgrund der in dem Beschluss vom 31.8.2006 geschilderten Unterbringungsbedingungen über viele Stunden der Art und Weise nach rechtswidrig und damit für die Betroffene besonders belastend war. Der rechtswidrige Teil der Freiheitsentziehung überwiegt damit in dem hier konkret vorliegenden Fall den rechtmäßigen Teil der Freiheitsentziehung und damit den Verschuldensanteil der Betroffenen bei einer Gesamtbetrachtung so erheblich, dass eine gegenseitige Aufhebung der Kosten in diesem Ausnahmefall gerade nicht der Billigkeit entsprach, zumal rein praktisch der Betroffenen durch die angesichts der Schwierigkeit des Falles ohne weiteres erforderlichen Einschaltung ihrer Verfahrensbevollmächtigten auch erheblich höhere Auslagen entstanden sind als der sich selbst vertretenden Beteiligten.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus § 30 Abs. 1 KostO.

Der danach festzusetzende Beschwerdewert bestand hier in dem Kosteninteresse der Betroffenen, das sich aus den im Verfahren entstandenen Gerichtskosten in Höhe von insgesamt 18 € gem. § 158 Abs. 2, 131 Abs. 1 Nr. 1 KostO i. V.m. § 32 KostO und AnI. zu § 32 KostO für sowie den gern. Ziff. 6302, 6303 Kv RVG anzusetzenden Anwaltskosten der Betroffenen zusammensetzt.

Dabei war aufgrund der Zurückverweisungen durch das Landgericht und das Bundesverfassungsgericht gem. § 21 RVG kostenrechtlich zwei erstinstanzliche Verfahren und zwei Beschwerdeverfahren zugrundezulegen, wobei für die Vertretung in den erstinstanzlichen Verfahren sowie die Anhörungstermine jeweils der Mittelwert des geltenden Gebührenrahmens von jeweils 135 € und für die Vertretung in den Beschwerdeverfahren aufgrund der zunehmenden Komplexität des Vorganges und den damit verbundenen erhöhten tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten jeweils die Höchstgebühr von 250 € zugrunde gelegt wurde.