Titel

LG München II, Beschluss vom 06.05.2005, Az. 6 T 6631/04
Unverzüglichkeitsgebot bei der richterlichen Vorführung

 


Zitiervorschlag: LG München II, Beschluss vom 06.05.2005, Az. 6 T 6631/04, zitiert nach POR-RAV


Gericht:

Aktenzeichen:

Datum:


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Verstoß des Gerichts gegen das Unverzüglichkeitsgebot führt zur Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung

Leitsatz

Das Unverzüglichkeitsgebot des Art. 104 GG verpflichtet die Polizei, festgenommene Personen unverzüglich nach der Festnahme einem Richter vorzuführen. Der Umstand, dass ein Richter nicht zu erreichen war, rechtfertigt eine Verzögerung der Vorführung nicht.

Volltext

TENOR:

I. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Garmisch Partenkirchen vom 19.08.2004 in Ziffer I aufgehoben. II. Es wird festgestellt, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen in der Zeit vom 29.05.2004, 16.55 Uhr, bis 30.05.2004, 11oo Uhr, rechtswidrig gewesen ist.

GRÜNDE:

I. Der Betroffene wurde am 29.05.2004 um 16.55 Uhr im Obermarkt in 82481 Mittenwald in polizeilichen Gewahrsam genommen, weil er sich nach Beendigung einer angemeldeten Versammlung mit ca. 2o Personen durch die Straßen bewegte, wobei neun die-ser Personen Buchstabenplakate mit sich trugen, die einen Ausspruch zeigten: „Endlich weg damit!"

Die Gruppe sprach im Zusammenhang mit der vorangegangenen Demonstration gegen die Kundgebung ehemaliger Soldaten entgegen kommende Passanten sinngemäß mit den Worten an: „Macht es Ihnen Spaß, mit Massenmördern Tür an Tür zu wohnen?"

Die Gruppe stellte sich bevorzugt vor die Freiflächen der dortigen Straßencafes, um eine größtmögliche Öffentlichkeitswirkung zu erzielen. Der Betroffene war Wortführer und Verantwortlicher der Aktion und zeigte sich gegenüber dem polizeilichen Einschrei-ten nicht kooperativ. Am darauf folgenden Tage, dem 30.05.2004, wurde der Betroffene von 10.25 Uhr bis 10.30 Uhr vom zuständigen Richter des Amtsgerichts Garmisch Partenkirchen angehört, der sodann mit Beschluss vom selben Tage die Aufhebung der Freiheitsentzie-hung anordnete. Im Anschluss hieran wurde der Betroffene aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Im vorliegenden Verfahren beantragt der Betroffene die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Polizeigewahrsams.

Mit Beschluss vom 19.08.2004 wies das Erstgericht diesen Antrag als unbegründet zurück. Gegen diesen Beschluss, der Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zugestellt am 24.08.2004, legte diese mit Schreiben vom 29.08.2004, eingegangen beim Erstgericht am 30.08.2004, sofortige Beschwerde ein.

II.

Die zulässige, insbesondere form und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen Ziffer I. des erstinstanzlichen Beschlusses hat auch sachlich Erfolg.

Zu Recht rügt die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen die Verletzung des Unverzüglichkeitsgebots (Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG).

Wird eine Person auf Grund von Art. 17 PAG festgehalten - wie hier der Betroffene - hat die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen (Art. 18 Abs. 1 Satz 1 PAG). „Unverzüg-lich" ist hierbei dahingehend auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (Bundesverwaltungsgericht NJW 1974, 807; Maunz/Dürig, Art. 104 Randnr. 38).

Nicht vermeidbar sind z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (Bundesverfassungsgericht NJW 2002, 3161/3162). Derartige Gründe liegen im vorliegenden Verfahren nicht vor. Wegen des Richtervorbehalts, der auf eine Kontrolle staatlicher Maßnahmen durch eine unabhängige und neutrale Instanz abzielt (Bundesverfassungsgericht NJW 1981, 2111; 1987, 2499), hätte der Betroffene unmittelbar nach der polizeilichen Festnahme dem Richter vorgeführt werden müssen. Dies ist im vorliegenden Verfahren nicht erfolgt. Der bloße Umstand, dass im verfahrensgegenständlichen Zeitraum 29.05.2004, 16.55 Uhr, bis 30.05.2004, 10.25 Uhr, ein Richter nicht zu erreichen war, lässt die Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme nicht entfallen.

III. …