Titel

VerwGH München, Beschluss vom 11.04.2006, Az. 24 C 06.634
Art und Weise der Behandlung während der Freiheitsentziehung ist eigenständig angreif- und überprüfbar

 


Zitiervorschlag: VerwGH München, Beschluss vom 11.04.2006, Az. 24 C 06.634, zitiert nach POR-RAV


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Der Vollzug einer Freiheitsentziehung ist neben der Anordnung derselben eigenständig angreifbar, und zwar auch dann, wenn die Anordnung der Freiheitsentziehung bereits rechtskräftig als rechtswidrig erklärt wurde.

Volltext

TENOR:

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 16. Februar 2005 wird aufgehoben. II. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Frau Rechtsanwältin XXX, mit der Maßgabe beigeordnet dass die Kosten durch ihre Beiordnung nicht höher sein dürfen als bei Beauftragung eines Anwalts am Ort.

GRÜNDE

I.

Der Kläger nahm am 29. Mai 2004 in Garmisch-Partenkirchen an einer Demonstration teil. Er wurde von der Polizei festgenommen und bis zum darauffolqenden Tag festgehalten. Am 11 Juni legte der Kläger beim Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen sofortige Beschwerde gegen seine Festnahme ein und beantragte zugleich die Feststellung. dass die Freiheitsentziehung und seine Behandlung während des polizeilichen Gewahrsams rechtswidrig waren. Das Landgericht München II stellte mit Beschluss vom 6. Mai 2005 fest, dass die Freiheitsentziehung rechtswidrig war. Das Verfahren wegen des Begehrens des Klägers festzustellen, dass die Behandlung während des Gewahrsams rechtswidrig war, trennte das Landgericht München II ab und verwies es an das Verwaltungsgericht München.

Beim Verwaltungsgericht München beantragte der Kläger festzustellen, dass die Art und Weise der Behandlung insbesondere der Zwang der vollständigen Entkleidung zum Zwecke der Durchsuchung, die fehlende Möglichkeit, sich zu waschen, die Versagung eines Hofgangs sowie das sechsstündiqe Sitzen in einem Gefangenentransporter während des Gewahrsams rechtswidrrg war

Für dieses Verfahren beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Mit Beschluss vom 16. Februar 2006 lehnte das Verwaltungsgericht München die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab.

Für die Klage bestehe nach summarischer Prüfung mangels Rechtsschutzbedürfnisses keine Aussicht auf Erfolg. Mit dem Beschluss des Landgerichts München II vom 6. Mai 2005 sei nicht nur festgestellt worden, dass die Freiheilsentziehung, sondern auch die mit der Freiheitsentziehung einhergehenden und sich zwangsläufig aus ihr ergebenden Maßnahmen rechtswidrig gewesen seien. Eine eigene über die Freiheitsentziehung hinausgehende Beschwer bestehe aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs nicht. Mit der Feststellung durch das Landgericht, dass die Freiheitsentziehung rechtswidrig gewesen sei, ergebe sich zugleich die Rechtswidrigkeit der mit der Freiheitsentziehung einhergehenden Maßnahmen.

Dagegen ließ der Kläger Beschwerde erheben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien die Frage der Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug grundsätzlich voneinander zu trennen. Der Kläger habe die Art und Weise des Vollzugs gerügt. Berührt sei nicht das Grundrecht auf Freiheit der Person. sondern das allgemeine Persönlichkeitsrecht Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung enthalte auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit her Art und Weise der Freiheitsentziehung könne schon aufgrund der verschiedenen verletzten Rechtsgüter nicht zutreffen.

Der Beklagte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen Die vorliegende Fallgestaltung sei mit derjenigen. die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liege, nicht vergleichbar. Das Bundesverfassungsgericht verlange in der zitierten Entscheidung eine Überprüfung einzelner Maßnahmen während des Vollzugs in den Fällen, in denen die Fachgerichte die Anordnung der lngewahrsamnahme als rechtmäßig erachteten. Um einen solchen Fall handle es sich hier jedoch nicht Aufgrund der Entscheidung des Landgerichts München II stehe fest, dass auch die einzelnen Vollzugsmaßnahmen rechtswidrig gewesen seien. Der Kläger habe darüber hinaus keinen Anspruch darauf, dass einzelne Maßnahmen nochmals eigenständig überprüft würden und über deren Rechtmäßigkeit gesondert entschieden werde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogene Behördenakte und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Die Beschwerde hat Erfolg. Der Kläger kann die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat nach summarischer Prüfung auch hinreichende Erfolgsaussicht, sie ist jedenfalls nicht mutwillig (§ 166 VwGO, § 114ZPO).

Es kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die Feststellungsklage mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig oder aus sachlichen Gründen voraussichtlich unbegründet ist, Von dem Beklagten wird zwar eingeräumt, dass auch die während der Ingewahrsamnahme des Klägers eingeräumten Vollzugsmaßnahmen rechtswidrig waren, diese Feststellung wird jedoch ausschließlich daraus hergeleitet, dass aufgrund des Beschlusses des Landgerichts München II vom 8. Mai 2005 bereits die Freiheitsentziehungsmaßnahme rechtswidrig war. Mit der allein daraus abgeleiteten Feststellung der Rechtswidrigkeit ist das Rehabilitierungsinteresse des Klägers hinsichtlich der einzelnen Vollzugsmaßnahmen jedoch nicht befriedigt Aus der vom Kläger zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2005 (Az. 2 BvR 447/05, ZAP EN-Nr 53/2006) ergibt sich, dass die Frage der Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug grundsätzlich voneinander zu scheiden sind Daraus folgt, dass has Rechtsschutzbegehren an dem materiellen Rehabilitationsinteresse des Klägers - möglicherweise auch wegen der Wiederholungsgefahr - zu messen ist. Die bloße Feststellung der Rechtswidrigkeit von Maßnahmen kann noch nicht die aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitete Rechtsschutzgarantie rechtstaatlich befriedigend erfüllen. Diese Rechtsschutzgarantie erfordert vielmehr insbesondere bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit und in das Persönlichkeitsrecht eine gewissenhafte Überprüfung jedes Einzelfalles. Andernfalls würde das verfahrensrechtlich anerkannte Rehabilitationsinteresse weitgehend ohne praktische Bedeutung bleiben, was dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes widersprechen wurde. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass sich die vom Kläger beanstandeten Maßnahmen bereits unmittelbar aus der Freiheitsentziehung ergeben, trifft weder rechtlich noch tatsächlich zu, da während einer rechtmäßigen Freiheitsentziehung durchaus rechtswidrige Vollzugsmaßnahmen denkbar sind. Zudem ist - jedenfalls derzeit - nicht ersichtlich, dass die konkreten Vollzugsmaßnahmen im vorliegenden Fall zwingende Folge der Freiheitsentziehung waren. Die Erfolgsaussichten der Klage in der Sache können erst nach der weiteren Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren beurteilt werden.

Bei der Beiordnung eines auswärtigen Anwalts dürfen nach dem Rechtsgedanken des § 121 Abs. 3 ZPO grundsätzlich keine höherer Kosten entstehen als bei der Beauftragung eines ortsansässigen Anwalts.

Eine Kostenentscheidung und eine Streitwertfestsetzung sind in dem erfolgreichen Beschwerdeverfahren nicht erforderlich (vgl. § 127 Abs. 4 ZPO). Eine Gebühr fällt nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (§ 3 GKG) nicht an.

Kommentar

Die Entscheidung betraf zwar nur die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, es ist jedoch die erste Entscheidung, die klarstellt, dass Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht "eine gewissenhafte Überprüfung des Einzelfalles" erfordern.