Titel

VG Augsburg, Urteil vom 06.11.2020, Az. Au 8 K 20.1179


"Klima-Camps" sind grundrechtlich geschützte Versammlungen

 


Zitiervorschlag: VG Augsburg, Urteil vom 06.11.2020, Az. Au 8 K 20.1179, zitiert nach POR-RAV


Beschluss noch nicht rechtskräftig!
Letzte Bearbeitung: 24.02.2021, 23:22

Gericht:

Aktenzeichen:

Datum:


Teaser

Die Verabschiedung eines "Kohleausstiegsgesetzes" führt nicht dazu, dass eine angemeldete Veranstaltung zum Thema "Klimagerechtigkeit" wegen "Zweckerreichung" keine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG mehr ist.

Das gilt auch, wenn eine Behörde das nicht so sieht.

Leitsatz

1. Für eine Versammlung bestehen keine zeitlichen Mindest- oder Höchstgrenzen.

2. Auch Zelte können zu einer Versammlung gehören.

3. Entscheidend ist, ob das "Gesamtgepräge" einer Veranstaltung auf öffentliche Meinungsbildung gerichtet ist.

Volltext

TENOR

I. Der Bescheid vom 10. Juli 2020 wird aufgehoben.

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

TATBESTAND

Der Kläger, Vertreter der örtlichen "Fridays For Future"-Gruppierung, wendet sich gegen einen Feststellungsbescheid der Beklagten, in dem für eine vom Kläger angemeldete Veranstaltung die Eigenschaft als Versammlung verneint wird.

Mit Anzeige vom 30. Juni 2020 meldete der Kläger eine Versammlung mit dem Thema "Klimagerechtigkeit" ab dem 1. Juli 2020 bis auf weiteres auf dem ...markt, einer Fläche unmittelbar neben dem Rathaus der Beklagten, an. Als Kundgebungsmittel wurden Transparente, Megafone, Kreide, eine Filmleinwand, Isomatten, ein Pavillon, sog. "Gehzeuge", Sofas, Tische, Stühle, Autoreifen und Schränke genannt. Die Beklagte ordnete die Veranstaltung zunächst als Versammlung ein und erließ mit Bescheid vom 1. Juli 2020 versammlungsrechtliche Beschränkungen.

Auf der Homepage der örtlichen "Fridays For Future"-Bewegung, auf der die Veranstaltung als "...blockade" bezeichnet wird, findet sich folgendes Programm:

- Filmvorführungen

- Dezentrale Kreideaktionen

- Workshops zur sicheren Kommunikation und Handyverschlüsselung

- Programmierworkshops für Neulinge

- Jonglierworkshops

- Workshops zu Parkour (der Sportart)

- Aktionstraining für andere Aktionen, Infoworkshops zum Versammlungsrecht

- Infos wie sich die einzelnen Klimagerechtigkeitsbewegungen ... organisieren und wie mensch mithelfen kann

- Auch Studierende werden da sein und wir freuen uns, euch Nachhilfe für die Schule zu geben! Insbesondere werden viele Mathematiker...innen dabei sein.

- Werwolf

Am 2., 3. und 5. Juli 2020 begannen bzw. endeten am Veranstaltungsort Demonstrationszüge zu den Themen "Klimagerechtigkeit" und "Mehr, bessere und sicherere Radwege". Am 2. und 5. Juli 2020 fanden "...besetzungen/-blockaden" statt. Auszügen aus sozialen Medien nach umfasste die Veranstaltung zudem das Angebot von Speisen, das Malen von Bannern und sogenanntes "...".

Mit Bescheid vom 10. Juli 2020 stellte die Beklagte fest, dass die seit dem 1. Juli 2020 auf dem ...markt stattfindende Veranstaltung keine öffentliche Versammlung darstelle und nicht mehr von Art. 8 GG gedeckt sei.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass ab dem 2. Juli 2020 tatsächlich Meinungskundgaben durch die Gruppierung "Fridays For Future" mit verschiedenen Versammlungen und Aktionen erfolgt seien. Diese würden jedoch, wie die Demonstrationszüge vom 2., 3. und 5. Juli 2020, eigene Versammlungen darstellen. Andere Aktionen seien in keinem räumlichen oder inhaltlichen Zusammenhang mit der Versammlung des "..." gewesen. Die "Besetzung" des ... am 2. und 5. Juli 2020 sowie dezentrale Kreideaktionen hätten nicht auf der Veranstaltungsfläche des ...marktes, sondern im ... bzw. dezentral stattgefunden. Andere Aktionen, wie das Malen von Bannern oder Workshops, würden vorrangig der Vorbereitung weiterer Versammlungen dienen. Zudem würden zahlreiche Aktionen durchgeführt, die keinen Bezug zur Meinungskundgabe oder zum Versammlungsthema "Klimagerechtigkeit" aufweisen würden. Das "..." stelle daher in einer Gesamtbetrachtung aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters keine eigenständige Versammlung (mehr) dar. Die Aufstellung mehrerer Transparente mit Bezug zum Versammlungsthema ändere daran nichts, soweit die Teilnehmer der Veranstaltung anderen versammlungs-unspezifischen Aktivitäten nachkämen. Zwar könne nach der jüngeren Rechtsprechung auch ein Protest... in seiner Gesamtheit einschließlich der angemeldeten Infrastruktureinrichtungen vom Schutz der Versammlungsfreiheit umfasst sein. Dies gelte aber nur, wenn eine Versammlung vorliege.

Auf den Bescheid wird verwiesen.

Hiergegen erhob der Kläger am 10. Juli 2020 Klage und beantragt,

- den Bescheid der Stadt ... - Bürgeramt - mit dem Az. ... vom 10. Juli 2020 aufzuheben.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Bescheid bereits formell rechtswidrig sei. Das Bürgeramt der Beklagten, das Absender des Bescheides sei, sei nicht die Versammlungsbehörde der Beklagten. Zudem sei die erforderliche Anhörung nicht durchgeführt worden. Der Bescheid sei auch materiell rechtswidrig. Die vom Kläger als "..." bezeichnete Veranstaltung sei nach wie vor eine Versammlung. Daran habe auch die Anmeldung weiterer Versammlungen nichts geändert. Ausdruck des Protest... sei der Slogan "Wir sind hier und wir bleiben hier, bis Klimaschutz gemacht wird". Zweck des "..." sei die Präsenz im öffentlichen Raum. Es sei von der Versammlungsfreiheit gedeckt, die Gestaltungsform der Versammlung frei zu wählen. Dass auf weitere Veranstaltungen hingewiesen werde oder andere Aktionen stattfänden, stehe dem nicht entgegen. Sofern Unterhaltungsformate stattfänden, würden diese der Versammlung dienen und seien diesem Zweck untergeordnet. Das Camp diene nicht lediglich als Ausgangsplattform, Infrastruktur und Unterkunft. In der Gesamtschau bestehe eine Versammlung.

Auf die Klagebegründung wird im Einzelnen Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 13. August 2020,

- die Klage abzuweisen.

Der Kläger habe selbst zunächst nur eine begrenzte Dauer der Veranstaltung "..." vorgesehen. Ursprünglich sei angedacht gewesen, nur bis zur Entscheidung über das Kohleausstiegsgesetz auf der Fläche am ...markt zu verbleiben. Die Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes am 3. Juli 2020 habe den Zweck der ursprünglichen Versammlung entfallen lassen. Dies und die konkrete Ausgestaltung des "..." führten zu der Auffassung, dass es sich dabei nicht um eine Versammlung handele. Das Gesamtgepräge der Veranstaltung sei zum Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids dahingehend zu bewerten, dass es sich nicht um eine Versammlung handele. Der Versammlungscharakter sei so weit in den Hintergrund getreten, dass die Meinungskundgabe nicht mehr als Versammlung gewertet werden könne. Die angebotenen Aktionen seien inhaltlich so weit von der bezweckten Meinungskundgabe und -bildung entfernt, dass jeglicher Zusammenhang zum Versammlungsthema fehle. Die überwiegende Mehrzahl der Aktionen diene der Unterhaltung der Teilnehmer und nicht dem Zweck der Meinungskundgabe. Nur sehr gelegentlich werde dies durch vereinzelte Aktionen unterbrochen, die gegebenenfalls als Versammlung zu bewerten seien. Auffällig sei auch, dass diese vereinzelten Aktionen örtlich getrennt vom "..." stattgefunden hätten. Es handele sich daher um eigenständige Versammlungen.

Das "..." habe sich nur als Ausgangsplattform, Vorbereitungsort und Koordinations- und Sammelpunkt für weitere Aktionen dargestellt und diene überwiegend der Infrastruktur und Unterkunft der Teilnehmer. Auch das dauerhafte Kampieren am Veranstaltungsort werde nicht mehr von der Meinungsbildung und -kundgabe gedeckt. Es diene auch der Versorgung der Teilnehmer. Auch die eingesetzten Mittel der Veranstaltung, wie Zelte und Pavillons, seien in der konkreten Anwendung nicht vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit erfasst. Diese seien lediglich Hilfsmittel, die ohne jegliche Auswirkung auf die Meinungskundgabe und -bildung sind. Das im "..." praktizierte dauerhafte Kampieren auf öffentlichen Flächen ohne einen inhaltlichen Bezug zur Versammlung sei wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung öffentlicher Belange nicht mehr vom Schutzbereich des Art. 8 GG erfasst. Da solche Infrastruktur nach dem Bundesverfassungsgericht untersagt werden könne, könne daraus geschlossen werden, dass auch die Feststellung möglich sein müsse, dass es sich aufgrund der überwiegenden Prägung durch eine solche Infrastruktur nicht mehr um eine Versammlung handele. Solch ein Zeltlager diene nicht der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. Auch im Nachgang zur Entscheidung des Gerichts im Eilverfahren habe sich nichts wesentlich geändert. In der Literatur werde durchaus auf das Merkmal der Zeitweiligkeit hingewiesen, um Versammlungen von Vereinen und der Vereinigungsfreiheit abzugrenzen. Im vorliegenden Fall einer Dauermahnwache zur Bedrohung von Mensch und Umwelt durch den Klimawandel komme es nur auf den verfolgten Zweck an. Da dieser mit Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes unerreichbar geworden sei, könne es sich nicht mehr um eine Versammlung handeln. Die Aktionen "...blockade" bzw. "...besetzung" ziele lediglich auf die Durchsetzung eigener Forderungen mittels Zwang ab, was nicht vom Schutz der Versammlungsfreiheit erfasst sei.

Mit Beschluss vom 17. Juli 2020 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (Au 8 S 20.1186).

Mit Schriftsatz vom 8. September 2020 nahm die Klägerbevollmächtigte zur Klageerwiderung Stellung. Das "..." sei nach wie vor eine Versammlung gemäß Art. 8 Abs. 1 GG. Dies komme allein durch die seit 1. Juli 2020 dauerhafte Präsenz der Aktivisten im "..." unter Verwendung von Bannern zum Thema Klimagerechtigkeit zum Ausdruck. Des Weiteren fänden im "..." täglich Sprechchöre, Unterschriften-Sammlungen, Reden, Gesänge oder andere musikalische Darbietungen, Kreideaktionen und Diskussionen mit Passanten zum Versammlungsthema statt. Die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung werde flankiert durch unzählige einmalige Veranstaltungen in oder aus dem ... heraus. Hierzu werde eine Chronik des "..." vorgelegt. Der lückenhafte Vortrag der Beklagten zu etwaigen Beobachtungen meist vormittags vom 21. Juli 2020 bis 30. Juli 2020 werde bestritten. Die meisten Aktionen fänden nachmittags, abends oder nachts statt. Zur Beobachtung am 23. Juli 2020 sei zu widerlegen, dass die Aktion nicht dezentral vor dem rechten Eingang des ... stattfand. Sie habe an beiden Eingängen des ... und damit auch im "..." selbst stattgefunden. Bei dem "..." handele es sich nicht überwiegend um die Versorgung, Vorbereitung und Koordination des Veranstalters. Auf dem Essensangebot liege nicht das Hauptaugenmerk. Die meisten Aktivisten würden zum Duschen, Waschen und Essen nach Hause gehen. Auch die Zelte und Pavillons seien vom Schutzbereich der Versammlung erfasst. Es handele sich um ein Protest.... Der Bezug zum Versammlungsthema werde durch die an den Zelten angebrachten Banner hergestellt. Die Zelte würden hauptsächlich zur Überbrückung von Unwettern sowie als trockener Lagerplatz von Versammlungsutensilien verwendet. Nicht notwendige Infrastruktur führe nicht automatisch zur Feststellung, dass es sich nicht mehr um eine Versammlung handele. Die sog. "..." (Beete und Fahrradabstellmöglichkeiten) seien ebenfalls Teil des Protests und hätten Bezug zum Versammlungsthema. Sie stünden sinnbildlich für einen klimafreundlichen Gegenentwurf zur aktuellen Verkehrspolitik und Aufteilung des öffentlichen Raumes. Die Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes habe den ursprünglichen Zweck der Versammlung nicht entfallen lassen. Nicht diese, sondern die Klimagerechtigkeit sei Versammlungsthema. Es sei weiter nie angedacht worden, nur bis zur Entscheidung über das Kohleausstiegsgesetz am ...markt zu verbleiben. Die Aktivisten hätten auf dem Kundgebungsformular vielmehr angegeben: "Ende: wenn es die Situation zulässt". Die ...blockade habe völlig friedlich stattgefunden. Mit "Blockade" sei nur die dauerhafte Präsenz im ... und damit an den Eingängen des ... gemeint, sodass sich die Politiker gedanklich mit dem Klimathema auseinandersetzen müssten.

Hierzu nahm die Beklagte mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2020 Stellung. Viele der in der "Chronik" der Klägerseite genannten Aktionen hätten nicht auf dem Gelände des "..." stattgefunden und dürften nicht zur Prüfung, ob es sich bei dem "..." um eine Versammlung handele, herangezogen werden. Bei einer Vielzahl von Aktionen habe keine öffentliche Meinungsbildung oder -kundgabe stattgefunden bzw. hätten diese keinen Zusammenhang zum gewählten Versammlungsthema aufgewiesen. Eine weitere große Anzahl der durchgeführten Aktionen habe der bloßen Unterhaltung der Teilnehmer gedient. Bei einer Vielzahl der Aktionen werde daher stark bezweifelt, ob es sich ernsthaft um die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung handele. Es habe auch mehrere Tage gegeben, an denen im "..." selbst gar keine Aktionen stattgefunden hätten, an denen somit der Versammlungscharakter nicht vorgelegen habe. Ein hierzu vorgelegter Bericht der Polizei belege, dass zu den überwiegenden Zeiten keine Aktivitäten feststellbar gewesen seien. Teilweise seien keine Personen im "..." anwesend gewesen, sodass ein weiteres wesentliches Merkmal des Versammlungsbegriffs nicht gegeben gewesen sei. Die von der Klägerseite vorgetragenen Aktionen stellten lediglich Einzelaktionen dar, die losgelöst vom übrigen Geschehen anzusehen seien. Der zeitliche Abstand zwischen ihnen umfasse einen so langen Zeitraum, dass eine zusammenhängende Versammlung nicht anzunehmen sei.

Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2020 erwiderte die Klägerbevollmächtigte, dass der Schriftsatz der Beklagten sowie die beigefügte Dokumentation der Polizei als unzulässige Amts-/Vollzugshilfe unbeachtet zu belassen sei. Es werde nochmals auf die täglich im ... stattfindenden und nicht bestrittenen Aktionen hingewiesen. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe es keine Tage gegeben, an denen keine oder nur eine Aktion stattgefunden habe. Alle Aktionen des "..." stünden in Zusammenhang mit dem Versammlungsthema. Die aus der polizeilichen Dokumentation hervorgehenden Momentaufnahmen der Lage am "..." könnten in der Argumentation, ob es sich um eine Versammlung handele oder nicht, nichts beitragen. Rein vorsorglich werde bestritten, dass an einem Tag niemand vor Ort gewesen sein solle.

Hierauf entgegnete die Beklagte mit Schriftsatz vom 3. November 2020, dass insbesondere auch zu den Nachtzeiten mangels Kundgabe von Meinungen keine Versammlung bestehe. Für die Beklagte sei nicht erkennbar, weshalb Tanzen und Turnen einen Bezug zum Versammlungsthema haben sollten. Unverständlich sei, weshalb sich die Klägerseite auf eine angeblich unzulässige Amts-/Vollzugshilfe berufe.

Die Klägerbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 8. September 2020 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Beklagte hat sich ebenfalls mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch im Verfahren Au 8 S 20.1186, und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.

GRÜNDE

Über die Klage konnte nach § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Der feststellende Bescheid der Beklagten findet seine Rechtsgrundlage in Art. 13 und 15 BayVersG. Zwar ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschriften nicht ausdrücklich, dass die Versammlungsbehörde zum Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes des in Rede stehenden Inhalts ermächtigt ist. Sinn und Zweck des Anmeldeerfordernisses nach Art. 13 BayVersG und der Eingriffsermächtigung nach Art. 15 BayVersG verschaffen der Behörde aber die Befugnis zu prüfen, ob sich die angemeldete Veranstaltung überhaupt als Versammlung darstellt. Hieraus erwächst die Ermächtigung der Versammlungsbehörde, über die Versammlungseigenschaft durch feststellenden Verwaltungsakt verbindlich zu entscheiden (vgl. zum Ganzen OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 2.5.2006 - OVG 1 B 4.05 - juris Rn. 16 ff.).

2. Die getroffene Feststellung, die Veranstaltung des Klägers sei keine Versammlung (mehr), trifft nicht zu.

Versammlungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG sind örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93, 1 BvR 433/96 - juris Rn. 41; BVerwG, U.v. 16.5.2007 - 6 C 23/06 - juris Rn. 15). Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, so ist entscheidend, ob die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt (vgl. BayVGH, U.v. 22.9.2015 - 10 B 14.2246 - juris Rn. 46). Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird (vgl. BVerfG, B.v. 12.7.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - juris Rn. 29; BVerwG, U.v. 16.5.2007 - 6 C 23/06 - juris Rn. 16). Weitgehend übereinstimmend mit diesen Grundsätzen definiert Art. 2 Abs. 1 BayVersG Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes als Zusammenkünfte von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Dies zugrundgelegt, stellt sich die vom Kläger angezeigte Veranstaltung nach ihrem Gesamtgepräge als Versammlung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 BayVersG dar. Denn sie ist überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet. Bei der Frage, welches Gesamtgepräge einer Veranstaltung zukommt, ist zwar zu berücksichtigen, dass die Veranstalter einer Versammlung berechtigt sind, selbst darüber zu bestimmen, was sie zum Gegenstand öffentlicher Meinungsbildung machen und welcher Formen der kommunikativen Einwirkung sie sich bedienen wollen. Die rechtliche Einordnung dieses Verhaltens als Versammlung steht aber den dazu berufenen Gerichten zu (BVerfG, B.v. 12.7.2001 - 1 BvQ 28/01, 1 BvQ 30/01 - juris Rn. 30).

Zweck der vorliegenden Veranstaltung in Form eines Protest... ist es nach der Zielrichtung des Klägers, die Öffentlichkeit auf die derzeitige klimapolitische Situation in Deutschland aufmerksam zu machen und dadurch auf eine Verbesserung dieser Situation hinzuwirken. Der Einwand der Beklagten, der Zweck der Versammlung sei mit der Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes am 3. Juli 2020 entfallen, geht fehl. Die Veranstaltung wurde zum Thema "Klimagerechtigkeit" angezeigt. Dass dieser vom Veranstalter verfolgte Zweck inzwischen weggefallen wäre, ist nicht erkennbar.

Ist damit die vom Kläger angezeigte Veranstaltung aber auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet, so steht ihrer Einordnung als Versammlung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 BayVersG nicht entgegen, dass in ihrem Rahmen auch Aktionen und Workshops angeboten werden, die nicht unmittelbar mit dem Versammlungsthema "Klimagerechtigkeit" in Zusammenhang stehen. Denn ungeachtet dessen - und unabhängig von anderen, nicht am ...markt stattfindenden Versammlungen - ist das "..." zur Überzeugung des Verwaltungsgerichts für sich genommen auf die Einflussnahme auf die öffentliche Meinung gerichtet. Dies kommt vorliegend schon durch die dauerhafte Präsenz der Veranstaltungsteilnehmer am Veranstaltungsort unter Verwendung von Transparenten zum Thema "Klimagerechtigkeit" zum Ausdruck. Soweit aus der von der Beklagten vorgelegten polizeilichen "Dokumentation ..." für den 27. Juli 2020, 9:52 Uhr, die Notiz "keine sichtbaren Personen im ... - vermutlich alle noch am schlafen" bzw. für den 13. September 2020, 0:35 Uhr, die Notiz "Keine Personen im ... feststellbar" hervorgeht, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Durch diese Momentaufnahmen steht nicht fest, dass tatsächlich - ggf. auch in Zelten - keinerlei Versammlungsteilnehmer anwesend waren. Das Ruhen oder Schlafen der einzelnen Versammlungsteilnehmer, das bei auf die Dauer angelegten Versammlungen wie dem vorliegenden "..." zwangsläufig notwendig wird, lässt aber den Schutz des Art. 8 GG nicht entfallen. Auch derartige "Ruhepausen" werden von Art. 8 GG geschützt, um eine effektive Kundgabe des Anliegens der Versammlungsteilnehmer zu gewährleisten (BayVGH, B.v. 12.4.2012 - 10 CS 12.767 - juris Rn. 12). Des Weiteren finden nach dem Vortrag des Klägers Aktionen wie Sprechchöre und Reden zum Versammlungsthema, Umfragen der Bevölkerung und Vorträge u.a. zum Thema "..." am Veranstaltungsort statt. Entgegen der Auffassung der Beklagten fällt auch das dauerhafte Kampieren auf einem öffentlichen Platz im vorliegenden Fall unter den Schutzbereich des Art. 8 GG, da der inhaltliche Bezug zum Versammlungsthema gegeben ist. Auch das Verwenden von stationären Einrichtungen wie Pavillons, Sofas, Tischen, Stühlen, Autoreifen und Schränken lässt die Versammlungseigenschaft des "..." daher nicht entfallen. Eine Bewertung der Eignung oder der Sinnhaftigkeit einer Versammlung sowie der in ihrem Rahmen geplanten versammlungsspezifischen Aktionen und Ausdrucksformen im Hinblick auf den jeweils bezweckten Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung steht der Beklagten als grundrechtsgebundener staatlicher Stelle demgegenüber nicht zu (BVerfG, B.v. 21.9.2020 - 1 BvR 2152/20 - juris Rn. 17). Ihre Ausführungen, dass für eine Versammlung in Abgrenzung zur Vereinigung i.S.d. Art. 9 GG das "Merkmal der kürzeren Dauer" vorliegen müsse, gehen fehl. Für eine Versammlung bestehen keine zeitlichen Mindest- oder Höchstgrenzen. Eine Versammlung kann sowohl "das nur Sekunden währende Herzeigen eines Transparents wie auch die monatelange Mahnwache" (Depenheuer in Maunz/Dürig, GG, 90. EL Februar 2020, Art. 8 Rn. 74) sein (vgl. zur Dauerversammlung in Form eines "..." auch OVG NRW, B.v. 16.6.2020 - 15 A 3138/18 - juris). Das "..." stellt des Weiteren keine Vereinigung i.S.d. Art. 9 GG dar, denn es fehlt offensichtlich schon an einem Zusammenschluss der Veranstaltungsteilnehmer. Deren bloßes Zusammenwirken ohne den Willen zu einer auch äußerlichen Verbindung ist nicht ausreichend (Scholz in Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 58).

Da das "..." daher in seinem Gesamtgepräge als Versammlung zu werten ist, erweist sich der Bescheid der Beklagten als rechtswidrig.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Kommentar

Im Zeitpunkt der Bearbeitung für dieses Portal war die Entscheidung des VG Augsburg vom 6.11.2020 nur mit zahlreichen, in Anführungsstrichen gesetzten Auslassungen zugänglich. Dabei ging es offenbar jeweils um von den Veranstaltern selbst gewählte Bezeichnungen für das Klimacamp bzw. dessen einzelne Teilaktivitäten.