Titel

VG Berlin, Urteil vom 29.04.2009, Az. VG 1 A 115.07
Rechtswidrigkeit von Versammlungsauflagen bzgl. Verbot von Transparenten von über 1,5 m und Tragen von Stahlkappenschuhen für rechtswidrig

 


Zitiervorschlag: VG Berlin, Urteil vom 29.04.2009, Az. VG 1 A 115.07, zitiert nach POR-RAV


Gericht:

Aktenzeichen:

Datum:


Teaser

Das Gericht erklärt Verbote von Transparentlängen von über 1,5 m und des Tragens Stahlkappenschuhen ohne konkrete Gefahrenprognose für einen gewalttätigen Verlauf für rechtswidrig, die Auflagen, Transparente nicht zu verknoten und einen "Wagenverantwortlichen" zu bestimmen, jedoch für rechtmäßig.

Volltext

TENOR:

Es wird festgestellt, dass die Auflage 1 Satz 1 und Auflage 3 im Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 23. Mai 2007 rechtswidrig waren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte.

[...]

GRÜNDE:

Tabestand

Die Kläger wenden sich im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage gegen versammlungsrechtliche Auflagen.

Am 26. Mai 2007 veranstalteten die Kläger, darunter x und y, einen Aufzug vom Lausitzer Platz bis in die Voigtstraße un­ter dem Motto „Die G-8-Bildungspolitik in die Zange nehmen" mit etwa 400 Teilneh­mern. Die Veranstaltung fand im Vorfeld des G-8-Gipfels vom 6. bis 8. Juni 2007 im Heiligendamm statt. Ihr Motto bezog sich darauf, dass parallel zwei Versammlungen in Hamburg und Berlin zur Bildungspolitik der zur G8 gehörenden Staaten durchgeführt wurden. Unterstützer des Aufzugs waren studentennahe Organisationen und Gewerk­schaften. Zur Teilnahme riefen im Internet auch die Antifa und „Stressfaktor" mit der Parole „G8 versenken" auf.

Am 23. Mai 2007 erließ der Polizeipräsident in Berlin einen für sofort vollziehbar erklär­ten Auflagenbescheid unter anderem mit folgenden Auflagen: „1. Transparente und Plakate von einer Gesamtlänge von über 150 cm dürfen flächenmäßig nur frontal zur Marschrichtung des Aufzuges getragen werden, nichtaber längs der Außenseite des Aufzuges. Seitlich mitgeführte Transparente dürfen nicht verbunden werden.

3. Das Tragen von Stahlkappenschuhen wird untersagt.

7. Für die Umsetzung und Einhaltung der Auflage zu Ziffer 4. bis 6. des Aufla­genbescheides ist für das im Aufzug mitgeführte Fahrzeug vom Veranstalter bzw. Leiter vor Beginn der Versammlung ein spezieller Wagenverantwortlicher zu bestimmen und der Polizeieinsatzleitung unter Angabe der vollständigen Per­sonalien und des Kfz-Kennzeichens des Fahrzeuges schriftlich zu benennen."

Zur Begründung führte die Versammlungsbehörde aus, es sei bekannt, dass zum Auf­zug über einschlägige Internetseiten der linken Szene mobilisiert werde. Im direkten Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm seien vermehrt Straftaten mit einem entspre­chenden Themenbezug zu verzeichnen. Auch bei Aufzügen mit vergleichbarer Teil­nehmerzusammensetzung in der Vergangenheit seien Personen häufig gewaltgeneigt und -bereit aufgetreten. Das seitliche Führen von Transparenten und Plakaten mit einer Länge von über 150 cm werde untersagt, weil damit Straftäter getarnt würden und der polizeiliche Zugriff auf Straftäter verhindert werden könne. In den vergangenen Jahren bis in die jüngste Zeit hinein sei dieses Mittel bei vergleichbaren Aufzügen so häufig als Abwehr gegen Polizeikräfte eingesetzt worden, dass es schon als gängige Praxis ein­zustufen sei. Das Tragen von Stahlkappenschuhen werde verboten, weil Fußtritte mit derartigen Schuhen zu erheblichen Verletzungen bei den eingesetzten Polizeibeamten führen könnten. Der beabsichtigte Aufzug werde als störanfällig eingestuft. Dass es im Fall von Auseinandersetzungen mit der Polizei auch zu Fußtritten gegen eingesetzte Beamte komme, sei belegt. Ein nachvollziehbares Interesse, mit derartigen Schuhen an einer Versammlung teilzunehmen, sei nicht erkennbar. Der Einsatz von Kraftfahrzeugen bei öffentlichen Veranstaltungen berge selbst bei Schrittgeschwindigkeit besondere Gefahren für Veranstaltungsteilnehmer, denen mit den - nicht angegriffenen - Auflagen zu 4. bis 6. begegnet werden solle. Die Notwendigkeit, spezielle Wagenverantwortliche einzusetzen, ergebe sich daraus, dass der Versammlungsleiter, der sich in der Regel an der Spitze eines Aufzugs aufhalte, faktisch mit der Überwachung der die Fahrzeuge betreffenden Auflagen überfordert sei.

Gegen diese Auflagen legten die Kläger Widerspruch ein und ersuchten das Verwal­tungsgericht am 23. Mai 2007 um Eilrechtsschutz. Mit Beschluss vom 25. Mai 2007 (VG 1 A 108.07) stellte die Kammer die aufschiebende Wirkung hinsichtlich des seitlichen Tragens von Transparenten und Plakaten mit einer Gesamtlänge bis zu 250 cm wieder her und wies den Antrag im Übrigen zurück. Mit Klage vom 1. Juni 2007 verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie sind der Auf­fassung, dass sich das besondere Rechtsschutzinteresse für die Fortsetzungsfeststel­lungsklage aus einer Wiederholungsgefahr ergebe. Die Auflagen seien rechtswidrig. Eine für versammlungsrechtliche Auflagen erforderliche konkrete Gefahr für die öffentli­che Sicherheit und Ordnung habe nicht vorgelegen. Zielgruppe des Aufzugs sei nicht „Die Linke" gewesen. Transparentlängen von 150 cm seien für die Kommunikation nicht ausreichend. Mehrere kürzere Plakate würden auf Versammlungen häufiger als Ersatz für großflächige Plakate miteinander verknüpft. Den seitlichen Transparenten komme für die Schaffung von Öffentlichkeit besondere Bedeutung zu. Nach der Rechtspre­chung des Hamburger Oberverwaltungsgerichts bedürfe die Untersagung seitlich mitge­führter Transparente mit einer Länge von mehr als 150 cm die nach den dargelegten Umständen gesicherte Annahme, dass an der Versammlung eine nicht geringe Zahl gewaltbereiter Personen teilnehmen werde, von denen derartige Aktionen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien. Das Tragen von Stahlkappenschuhen sei teilwei­se berufsbedingt und szenetypisch. Das Verbot schließe diese Personen vollständig von der Versammlung aus. Das Verbot von Stahlkappenschuhen sei nicht von der Strafvorschrift des § 17a VersG gedeckt. Die Anforderungen an eine qualifizierte Ge­fahrenprognose seien nicht erfüllt. Es fehle der Nachweis, dass es in der Vergangen­heit bei vergleichbaren Versammlungen zu einer signifikanten Zahl von Körperverletzungen unter Einsatz von Stahlkappen gekommen sei. Über den „Wagenverantwortli­chen" werde ein gesetzlich nicht vorgesehener Verantwortlicher neben dem Versamm­lungsleiter geschaffen. Die Offenbarung der Personalien greife empfindlich in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Art. 8 GG ein. Die personenbezogene Erfas­sung der Teilnahme wirke sich nachhaltig abschreckend aus. Es gebe keine Vorschrift, die die Erhebung dieser Daten ausdrücklich erlaube. Ein Ordner sei als Achsenverant­wortlicher ausreichend. Es sei zwischen großen LKW wie beispielsweise auf der Loveparade und kleineren Lautsprecherwagen, wie sie die Kläger benutzt hätten, zu diffe­renzieren.

Die Kläger beantragen,

festzustellen, dass die Auflagen Nr. 1, 3 und 7 im Bescheid des Polizeipräsiden­ten vom 23. Mai 2007 rechtswidrig waren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an seiner Einschätzung im Ausgangsbescheid fest und verweist auf die Rechtsprechung der Kammer und des Oberverwaltungsgerichts Berlin in Eilverfah­ren. Ergänzend trägt er vor: Die Klage sei mangels Feststellungsinteresses unzulässig. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Die angegriffenen Auflagen beruhten auf ei­ner Gefahrenprognose im Einzelfall. Die Auflage Nr. 1 sei auch erforderlich, weil seitlich geführte Transparente von einer größeren Länge ein Austreten und Ausweichen aus dem Demonstrationszug erschwerten, so dass es im Fall von Panikreaktionen zu einer erhöhten Verletzungsgefahr kommen könne und der Einsatz von Rettungskräften er­schwert werde. Die Auflage greife nur geringfügig in das Recht auf Versammlungsfrei­heit ein, so dass keine überspannten Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden dürften. Es sei zu befürchten gewesen, dass eine nicht geringe Zahl an gewalt­bereiten Personen am Aufzug teilnehmen würde. Das Verbot des Tragens von Stahl­kappenschuhen stütze sich auf § 17a Abs. 1 Satz 1 VersG, der auf öffentlichen Ver­sammlungen unter freiem Himmel das Mitsichführen von Gegenständen verbiete, die als Schutzwaffen geeignet und nach den Umständen dazu bestimmt seien, Vollstre­ckungsmaßnahmen von Hoheitsträgern abzuwehren. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie des von dem Beklagten vorgelegten Verwal­tungsvorganges verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in dem im Tenor genannten Umfang begründet.

Die Klage beider Kläger ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 4 Satz 4 VwGO zulässig. Mit Durchführung des Aufzugs hat sich der Auflagenbescheid erledigt. Das besondere Feststellungsinteresse liegt vor. Zu einen gab es hier keine Möglichkeit, rechtzeitig eine Hauptsacheentscheidung herbeizuführen, so dass die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG eine großzügige Zulassung der Klage erfor­dert. Zum anderen ist für beide Kläger eine Wiederholungsgefahr gegeben. Der Kläger zu 1) hat am 22. Mai 2008 erneut einen Aufzug in Berlin-Mitte zum Thema Studienge­bühren organisiert, wobei ihm erneut die Auflage erteilt wurde, einen Wagenverantwortlichen zu benennen. Die Klägerin zu 2) wird voraussichtlich auch künftig in Versammlungen eingebunden sein. Es ist gerichtsbekannt, dass die streitbefangenen Auflagen häufiger gleichsam als Standardauflagen bei Versammlungen mit „linkem" und „rechtem" Hintergrund und entsprechendem Gefahrenpotential verfügt werden, so dass es entgegen der Auffassung des Beklagten nicht allein auf die Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls an­kommt.

1. Hinsichtlich der Auflagen Nr. 1 Satz 1 und Nr. 3 ist die Klage begründet. Der Be­scheid vom 23. Mai 2007 war insoweit rechtswidrig und verletzte die Kläger in ihren Rechten (§113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für den Erlass der Auflagen ist § 15 Abs. 1 VersammlG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von be­stimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfü­gung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die Auflagen müssen erforderlich und geeignet sein, die Gefahren zu verhindern, denen sie begegnen sollen, und sich auf das zum Schutz von Rechtsgütern unbedingt notwendige Maß unter strik­ter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beschränken (Köhler/Dürig-Friedl, Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl. 2001, § 15 Rn. 15). Sie müssen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Durchführung der Versammlung und dem geplanten Ablauf stehen und den Zweck haben, die Versammlung trotz entgegenstehender Verbotsgründe zu ermöglichen. Für die erforderliche versammlungsrechtliche Gefahrenprognose gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts strenge Anforderungen. Es müssen tatsächliche Anhaltspunkte bzw. nachweisbare Tat­sachen vorliegen, bloße Verdachtmomente und Vermutungen reichen nicht aus (BVerfG, Entscheidung vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 8/01 - NJW 2001, 1407 ff.).

Die Auflage Nr. 1 Satz 1 sollte verhindern, dass ein polizeilicher Zugriff auf etwaige Straftäter im Fall von aus dem Demonstrationszug heraus begangener Straftaten er­schwert oder gar unmöglich gemacht würde. Die Kammer und das Oberverwaltungsge­richt Berlin haben wiederholt entschieden, dass eine derartige Auflage nur in geringem Ausmaß in das Recht auf Versammlungsfreiheit der Versammlungsteilnehmer nach Art. 8 GG eingreift, da weder die gewählte Route noch sonstige Modalitäten des geplanten Aufzuges berührt werden. Auch auf 1,5 Meter breiten Transparenten lassen sich aus­sagekräftige Botschaften unterbringen, zumal es den Versammlungsteilnehmern unbe­nommen ist, breitere Transparente in Marschrichtung zu zeigen. Vor diesem Hinter­grund dürfen keine überspannten Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden (zuletzt Beschluss des VG Berlin vom 23. März 2007 - VG 1 A 66.07 -; Be­schlüsse des OVG Berlin Beschluss vom 19. November 2004 - OVG 1 S 78.04 - sowie vom 29. April 2005 - OVG 1 S 37.05 -). Voraussetzung der Gefahrenprognose bleibt aber, dass konkrete Anhaltspunkte für einen gewalttätigen Verlauf der Versammlung und die Begehung von Straftaten aus der Versammlung heraus vorliegen müssen. Das Hamburger Oberverwaltungsgericht verlangt dementsprechend in ständiger Rechtspre­chung die nach den dargelegten Umständen gesicherte Annahme, dass an der Ver­sammlung eine nicht geringe Zahl gewaltbereiter Personen teilnehmen werde, von de­nen derartige. Aktionen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien (Beschlüsse vom 30. April 2008 - 4 Bs 93/08 2 E 1195/08 - und vom 26. Juni 2007 - 4 Bs 130/07).

Diesen Anforderungen genügt die im vorliegenden Fall von der Versammlungsbehörde getroffene Gefahrenprognose nicht. Es lagen keinerlei konkrete Anhaltspunkte für die Vermutung vor, dass von der Versammlung Straftaten ausgehen könnten. Anmelder und Unterstützer waren im Wesentlichen Hochschul- und Gewerkschaftsgruppen, die nicht als gewaltbereit eingestuft werden können. Der Versammlungsaufruf enthielt kei­ne Parolen, die auch nur andeutungsweise Gewaltbereitschaft anklingen ließen. Das Motto der Demonstration „Die G8-Bildungspolitik in die Zange nehmen" bezog sich darauf, dass zwei parallele Versammlungen in Berlin und Hamburg durchgeführt werden sollten und sich Heiligendamm geographisch gleichsam in der Mitte zwischen beiden Orten befindet (vgl. den Flyer im Verwaltungsvorgang). Das Motto „G8 versenken" auf den Seiten der Antifa und von "Stressfaktor" war dem Veranstalter nicht zuzurechnen und kann auch nicht als Aufruf zur Gewalt auf den Versammlungen verstanden werden. Die Aufrufe enthielten sehr ausführliche inhaltliche Aussagen zur Bildungspolitik und zielten offensichtlich auf eine sachliche Auseinandersetzung mit dem G8-Gipfel. Im Verwaltungsvorgang finden sich keine Hinweise darauf, dass vergleichbare Demonstra­tionen gewalttätig verlaufen wären. Die Versammlungen, die im Vorfeld des G-8-Gipfels nach Hausdurchsuchungen bei "Globalisierungsgegnern" spontan stattfanden, verliefen jedenfalls in Berlin friedlich. Bei den Straftaten, die in diesem Zusammenhang bekannt geworden waren, handelte es sich um Brandanschläge ohne jeden Bezug zu Versamm­lungen. Es bestand auch kein unmittelbarer räumlicher und örtlicher Bezug zum G8-Gipfel, der eine Eskalation von Gewalt wie etwa am Schutzzaun um Heiligendamm er­warten ließ. Der spätere friedliche Verlauf der Versammlung entsprach dieser Einschät­zung, die die Kammer bereits im Eilbeschluss vor Durchführung der Versammlung ge­troffen hatte. Auch hinsichtlich des Verbots des Tragens von Stahlkappenschuhen sind die Anforde­rungen an die Gefahrenprognose nicht erfüllt. Die Kammer gibt ausdrücklich ihre bishe­rige Rechtsprechung in Eilverfahren auf, wonach die Gefährlichkeit dieser Schuhe in jedem Fall mit dem Charakter einer friedlichen Versammlung unvereinbar sei (Be­schlüsse der Kammer vom 25. Mai 2007 - VG 1 A 108.07 - und vom 18. November 2005 - VG 1 A 243.05). Zwar können Stahlkappenschuhe gemäß § 17 a Abs. 1 Satz 1 VersG verbotene Gegenstände darstellen, die als Schutzwaffen geeignet und den Um­ständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen von Hoheitsträgern ab­zuwehren. Als Schutzwaffe geeignete Gegenstände sind solche, deren Zweckbestim­mung nicht, wie bei Schutzwaffen, ausschließlich im Schutz ihres Trägers vor polizeili­chen Zwangsmaßnahmen liegt, die aber zum Schutz jedenfalls geeignet sind, weil sie denselben Zweck wie die Schutzwaffen erfüllen können (OLG Hamm, NStZ-RR 1998, 87). Allerdings setzt das subjektive Merkmal der Bestimmung zur Vollstreckungsabwehr eine entsprechende Absicht voraus, und es sollen nicht zu missbilligende Verhaltens­weisen nicht generell untersagt werden (so die Gesetzbegründung, BT-Drs. 10/3580, S. 4). Für eine Absicht der Vollstreckungsabwehr bestehen keine Anhaltspunkte, soweit derartige Schuhe von bestimmten Kreisen ohne besonderen Anlass regelmäßig getra­gen werden. Offenbar ist derartiges Schuhwerk bei manchen Teilnehmern der streitbe­fangenen Versammlung, etwa bei Punks, als modische Alltagsbekleidung nicht unüblich. Das Tragen derartiger Schuhe lässt deshalb jedenfalls nicht generell auf Gewalt­bereitschaft schließen. Träger solcher Schuhe werden mit der Auflage faktisch von der Versammlung ausgeschlossen, wenn sie hiervon keine vorherige Kenntnis haben. Vor diesem Hintergrund ist auch ein Verbot des Tragens von Stahlkappenschuhen auf einer Versammlung nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen gewalttätigen Verlauf der Veranstaltung zulässig. Die Anforderungen an die Gefahrenprognose dürfen dabei nicht überspannt werden. Was hier vom Beklagten zur Begründung der Gefahrenprog­nose angeführt worden ist, genügt allerdings nicht (s.o.).

2. Die Klage ist hinsichtlich der Auflagen Nr. 1 Satz 2 und Nr. 7 abzuweisen. Der Bescheid vom 23. Mai 2007 war insoweit rechtmäßig und verletzte die Kläger nicht in ih­ren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Auflage Nr. 1 Satz 2, nach der seitlich mitgeführte Transparente nicht verbunden werden dürfen, stützt sich zu Recht auf § 15 Abs. 1 VersG. Dabei ist diese Auflage nicht so zu verstehen, dass damit ein Verknoten mehrerer Transparente zu einem grö­ßeren Transparent verboten werden sollte. Werden mehrere kleinere Transparente derart verbunden, dass sie ein großflächigeres Transparent bilden, so sind sie als ein Transparent mit entsprechender Gesamtlänge zu bewerten und unterfallen gegebenen­falls dem Verbot, Transparente ab einer bestimmten Länge nicht seitlich zum Aufzug zu tragen. Mit dem Verbinden seitlich geführter Transparente ist das so genannte Versei­len verschiedener Transparente über eine bestimmte Entfernung gemeint, das dazu führt, dass die Außenseite eines Aufzugs zwischen den einzelnen Transparenten durch ein Seil abgesperrt wird. Für eine solche Verbindung von Transparenten gibt es keinen vernünftigen Grund. Sie gefährdet Demonstrationsteilnehmer, die in den Zug eintreten oder aus ihm austreten wollen, und erschwert Rettungseinsätze, und zwar unabhängig davon, ob auf der Versammlung Gewalttätigkeiten zu erwarten sind oder nicht. Das Versammlungsrecht der Teilnehmer wird durch diese Auflage nicht spürbar eingeschränkt.

Auch die Auflage Nr. 7, nach der für jeden mitgeführten Wagen ein Wagenverantwortli­cher zu benennen ist, erfüllt die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG. Das Mitführen von Fahrzeugen auf Demonstrationen begründet eine konkrete Gefahr für die kör­perliche Unversehrtheit der Teilnehmer. Der Antragsgegner verweist zu Recht auf schwere Unfälle mit auf Versammlungen mitgeführten Wagen bei anderen Gelegenhei­ten, um Auflagen zur Fahrzeugsicherheit zu begründen. Dabei geht auch von kleineren Fahrzeugen, wie sie auf der streitbefangenen Versammlung mitgeführt wurden, eine entsprechende Gefahr aus. Die Auflage, einen Wagenverantwortlichen zu benennen, ist verhältnismäßig. Sie ist erforderlich, um Verantwortung persönlich zuzuordnen, weil der Versammlungsleiter nicht jederzeit vor Ort sein kann. Der benannte Versammlungsleiter hält sich während der Durchführung einer größeren Kundgebung regelmäßig an der Spitze des Aufzugs auf oder nutzt einen der mitgeführten Lautsprecher und kann sich nicht persönlich um die Sicherheit aller mitgeführten Fahrzeuge kümmern. Die Persona­lisierung der Verantwortung ist ein adäquates Mittel, um die Einhaltung der Sicherheits­auflagen sicherzustellen (so auch die Beschlüsse der Kammer vom 25. Mai 2007 - VG 1 A 108.07, vom 18. November 2005 - VG 1 A 243.05 - und vom 28. April 2005 - VG 1 A 65.05, bestätigt vom OVG Berlin durch Beschluss vom 29. April 2005 - OVG 1 S 37.05). Die Letztverantwortung des Versammlungsleiters bleibt unberührt, da er die Wagenverantwortlichen benennt. Es handelt sich auch nicht um neue Verantwortliche jenseits der gesetzlichen Regelung. Vielmehr lassen sich Wagenverantwortliche als Sonderfall der in § 9 VersG ausdrücklich erwähnten Ordner verstehen. Der Wagenverantwortliche ist nach dem Bescheid für die Umsetzung und Einhaltung der die Fahrzeu­ge betreffenden Auflagen Nr. 4 bis 6 in Bezug auf den jeweiligen Wagen verantwortlich und steht der Polizei insoweit als Ansprechpartner zur Verfügung. Einer weiteren Umschreibung seiner Aufgaben bedarf es nicht. In das Recht auf Versammlungsfreiheit wird nur geringfügig eingegriffen. Nur eine kleine Zahl von Personen (eine pro Fahr­zeug) muss ihre Personalien angeben. Dies ist entgegen der Auffassung der Kläger mit der flächendeckenden Erfassung sämtlicher Teilnehmer durch Übersichtsaufnahmen, mit denen sich das Bundesverfassungsgericht im Eilbeschluss zum bayerischen Ver­sammlungsgesetz befasst hat (Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08, Rn. 129 ff.), nicht vergleichbar. Die Benennung von Wagenverantwortlichen wirft dagegen dieselben rechtlichen Fragen auf wie die Erfassung der Personalien von Ordner im bayerischen Versammlungsgesetz. Diese Regelung bleibt aber nach dem oben genann­ten Eilbeschluss vorläufig bis zur Hauptsacheentscheidung des Bundesverfassungsge­richts in Kraft. Die Angabe der Personalien ermöglicht es der Polizei, die Geeignetheit und Zuverlässigkeit der eingesetzten Personen zu überprüfen. So hat die Kammer eine Auflage, die eine bestimmte Person mit versammlungsrechtlichen Vorstrafen als Ver­sammlungsleiter ausschloss, bestätigt (Urteil vom 28. Februar 2005 - VG 1 A 155.03). Es entspricht der bislang vor diesem Gericht nicht angegriffenen Praxis der Polizei, bei rechtsgerichteten Demonstrationen vor Beginn der Versammlung die Personalien von Ordnern zu überprüfen und Personen, die einschlägig vorbestraft sind, auszuschließen. Im Fall des Wagenverantwortlichen wären beispielsweise Personen, die wegen Trun­kenheitsdelikten im Straßenverkehr oder wegen versammlungsrechtlicher Straftaten vorbestraft sind, ungeeignet. Das Festhalten der Namen der Wagenverantwortlichen im Verwaltungsvorgang zur jeweiligen Versammlung bedarf keiner speziellen gesetzlichen Grundlage. Die von den Klägern befürchtete Aufnahme in anderweitige Dateien der Polizei wäre dagegen nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen unzulässig. Gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 ASOG darf die Polizei personenbezogene Daten nur zu dem Zweck speichern und nutzen, zu dem sie die Daten erlangt hat.

Kommentar

Zitat aus dem Urteil: Offenbar ist derartiges Schuhwerk [Stahlkappenschuhe] bei manchen Teilnehmern der streitbe­fangenen Versammlung, etwa bei Punks, als modische Alltagsbekleidung nicht unüblich.