Titel

VG Dresden, Beschluss vom 23.08.2011, Az. 6 L 391/11
Rechtswidrigkeit einer ED-Behandlung wegen Vermummung

 


Zitiervorschlag: VG Dresden, Beschluss vom 23.08.2011, Az. 6 L 391/11, zitiert nach POR-RAV


Teaser

Anforderungen an die Feststellung der Wiederholungsgefahr zur Rechtfertigung einer erkennungsdienstlichen Behandlung

Leitsatz

Eine Erkennungsdienstliche Behandlung ist nicht gerechtfertigt, wenn die Anlasstat nicht schwer wiegend ist und bisherige Gesetzverstöße nicht besonders intensiv und von hoher krimineller Energie waren.

Volltext

TENOR:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Anordnung des Antragsgegners vom 24.06.2011 wird wieder hergestellt.

GRÜNDE:

l. Der 1986 geborene Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung seiner erkennungsdienstlichen Behandlung.

Gegen ihn wurde am 04.05.2011 ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot des § 17a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz eingeleitet. Der Antragsteller war am 23,10.2010 im Rudolf—Harbig-Stadion in Dresden mit einer Basecap-Mütze und einem Dreieckstuch vermummt videografiert worden. Zuvor war ein Verfahren gegen Unbekannt eröffnet worden, bis der Antragsteller von einem mit der Fußballszene vertrauten Polizeibeamten identifiziert werden konnte. Das Verfahren wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 10.08.2011 gegen Zahlung eines Geldbetrags in Höhe von 300,- € gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellt.

Ausweislich des polizeilichen Auskunftssystems ist der Antragsteller in der Vergangenheit wie folgt in Erscheinung getreten: — am 8.1.2006 in Rostock wegen Sachbeschädigung — am 5.4.2008 in Gelsenkirchen wegen Landfriedensbruch. Das Verfahren wurde am 5.5.2009 gemäß § 170 Abs. 2 StPO wegen mangelnder Nachweisbarkeit eingestellt. — ebenfalls am 5.4.2008 in Gelsenkirchen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Auch dieses Verfahren wurde am 5.5.2009 gemäß § 170 Abs. 2 StPO wegen mangelnder Nachweisbarkeit eingestellt, — am 17.5.2008 wegen gefährlicher Körperverletzung. Das Verfahren wurde durch die Amtsanwaltschaft Berlin am 30.12.2008 gemäß § 153 StPO eingestellt.

Die Polizeidirektion Dresden ordnete am 24.06.2011 eine erkennungsdienstliche Behandlung des Antragstellers gemäß § B1 b 2. Alt StPO an. Er wurde aufgefordert, sich am 19.07.2011 im Kriminalkommissariat Rostock einzufinden, um von ihm ein Dreiseitenbild, ein Detailbild (z.B. von möglichen Tätowierungen), ein Ganzkörperbild, eine Personenbeschreibung sowie einen Zehnfinger- und Handflächenabdruck anzufertigen sowie Messen und Wiegen durchzuführen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller sei seit 2006 mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die jetzt vorliegende Tat sei im Zusammenhang mit einem Fußballspiel begangen worden, Hieraus ergebe sich die begründete Wahrscheinlichkeit, dass er erneut mit derartigen oder ähnlich gelagerten Delikten strafrechtlich in Erscheinung treten werde. Die streitgegenständliche Maßnahme sei geeignet und erforderlich, um künftige Ermittlungen zu fördern. Die im Jahre 2006 erstmals gefertigten erkennungsdienstlichen Unterlagen seien aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr aktuell. Das Aussehen des Antragstellers habe sich aufgrund des natürlichen Alterungsprozesses in dieser langen Zeit verändert. Der Sofortvollzug der Maßnahme wurde angeordnet und zur Begründung unter anderem auf bestehende Wiederholungsgefahr verwiesen, die aus der Art des Anlassverfahrens sowie der weiteren Straftatbestände (u.a. im Zusammenhang mit Fußballspielen) auf eine hohe kriminelle Energie schließen lasse. Unter diesen Umstände könne nicht der Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens abgewartet werden. Diese Verfügung wurde dem Antragsteller mit einem Ladungsschreiben der Polizei Rostock vom 13.07.2011 übersandt.

Der Antragsteller legte hiergegen Widerspruch ein, den er nicht weiter begründete.

Am 18.7.2011 hat der Antragsteller einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes gestellt. Es lägen keine Gründe für die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung vor. Der strafrechtliche Vorwurf, der ihm gemacht werde, beruhe auf einer kurzzeitigen Vermummung mit einem Dreieckstuch, das im Zug verteilt worden sei. Es sei von allen mitreisenden Fans getragen worden. Aus diesem Grund seien mehr als 100 Ermittlungsverfahren geführt und zum Großteil eingestellt worden. Bei den weiteren Straftaten, auf die Bezug genommen werde, handele es sich um die Beschädigung eines Aufzugsspiegels die dem Antragsteller aufgrund der Vermutung eines Nachbarn zur Last gelegt worden sei, wohl weil er neu in das Haus eingezogen war. Bei den Taten vom 5.4.2008 handele es sich um einen Vorfall in Gelsenkirchen, als ca. 300 Rostocker Fans sich geweigert hätten, die Zugfahrt fortzusetzen, weil 2 Personen aus dem Umfeld der Fans polizeilich in Gewahrsam genommen worden waren. Der Antragsteller habe sich nicht an Gewalttätigkeiten beteiligt, die an einer anderen Stelle des Bahnsteigs stattgefunden hätten.

Die Anordnung stelle sich als unverhältnismäßig dar, weil das Anlassdelikt als Bagatelldelikt anzusehen sei. Der Staatsanwalt habe lediglich 10 Tagessätze beantragt. Im Übrigen ergäben die weiteren Vorwürfe keine Wiederholungsgefahr, da der Antragsteller seit 2005 als Fan mit zu Auswärtsspielen fahre und in dieser Zeit insgesamt nur zweimal aufgefallen sei.

Die Anordnung des Sofortvollzugs sei ebenfalls nicht geboten. Denn nach dem Anlassverfahren seien wiederum zahlreiche Spiele des FC Hansa Rostock vergangen, ohne dass er erneut aufgefallen sei. Durch die erkennungsdienstliche Behandlung werde er in seinem Umfeld stigmatisiert.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Anordnung vom 24.06.2011 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Er vertieft die Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren. Die vom Antragsteller begangenen Delikte könnten insbesondere in der Zusammenschau nicht als Bagatellen angesehen werden. Das gelte insbesondere für den Landfriedensbruch und den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Diese Tat könne in die Prognose einbezogen werden, da nicht jeglicher Tatverdacht habe ausgeräumt werden können. Das Verfahren wegen der gefährlichen Körperverletzung sei nach § 153 StPO eingestellt worden. Der Sofortvollzug sei auch wegen der weiteren Fahrten des Antragstellers mit zu Auswärtsspielen geboten. Da der Maßnahme keine Publizitätswirkung zukomme, sei eine Stigmatisierung nicht zu befürchten.

Auf die erst im laufenden Gerichtsverfahren erfolgte Erwähnung des Verfahrens der gefährlichen Körperverletzung hin repliziert der Antragsteller, dass dieser Vorfall nicht im Zusammenhang mit Fußball gestanden habe. Dabei seien er und sein Bekannter durch zwei männliche Personen mittels Flaschen angegriffen worden. Die schnell erschienene Polizei habe feststellen können, von wem die Aggression ausgegangen sei. Zur Einstellung sei er nicht angehört worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

ll.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die mit Bescheid vom 24.06.2011 angeordnete sofort vollziehbare erkennungsdienstliche Behandlung wird gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederhergestellt, da das Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Suspendierung des Verwaltungsaktes gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen Sofortvollzug überwiegt. Nach der möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung des streitgegenständlichen Bescheids erscheint der Bescheid nicht offensichtlich rechtmäßig, Es kann allerdings auch nicht von einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit ausgegangen werden, so dass eine Interessenabwägung erforderlich ist, die im vorliegenden Fall zu der Annahme führt, dass das Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens von einer erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung verschont zu bleiben, überwiegt.

Zwar ist die Anordnung des Sofortvollzugs formell rechtmäßig erfolgt und insbesondere ausreichend gemäß § 80 Abs. 3 VwGO begründet. Dies verlangt eine einzelfallbezogene schriftliche Begründung, die erkennen lässt, aufgrund welcher Umstände die Behörde in Ausnahme vom gesetzlichen Regelfall des § 80 Abs. 1 VwGO von einem Vorrang des öffentlichen Interesses am Vollzug des Verwaltungsaktes ausgeht. Dem genügen die auf den Einzelfall bezogenen Ausführungen der Anordnung. Der Antragsgegner hat seine Erwägungen durchaus individuell auf den Antragsteller abgestellt, indem er auf dessen Auffälligkeit im Zusammenhang mit Fußballspielen verwiesen hat. Dass die angeführte Begründung auch geeignet sind, die zu vollziehende Verfügung zu begründen, ist im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit ohne Belang.

Die Kammer kann allerdings keine eindeutige Feststellung hinsichtlich der materiellen Rechtmäßigkeit der Anordnung treffen.

Rechtsgrundlage einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81 b 2. Alt. StPO — die keine Verfahrenshandlung im Rahmen des Strafverfahrens, sondern eine Verwaltungsmaßnahme darstellt — ist die als Verwaltungsakt ergebende Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung, durch die die gesetzliche Pflicht des Betroffenen zur Duldung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen präzisiert und die im Einzelfall konkret beabsichtigte erkennungsdienstliche Behandlung — hier die Aufnahme von Lichtbildern, Personenbeschreibung und Finger- bzw. Handflächenabdrücken, messen und wiegen — bestimmt wird. Diese trifft den Beschuldigten eines schwebenden Ermittlungsverfahrens. Der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung, Verurteilung oder Freispruch lässt die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen hingegen unberührt. Die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen bemisst sich danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens/Ermittlungsverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene auch in anderen Fällen mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen be- oder entlastend — fördern könnten. Kriterien für die zu prognostizierende Wiederholungswahrscheinlichkeit sind insbesondere die Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit sowie der Zeitraum, in dem er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.10.1982 — 1 C 29/79 -, Urt. v. 23.11.2005 - 6 C 2/05 —; juris).

In Anwendung dieser Grundsätze kann bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht mit der hinreichenden Sicherheit von einer Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung ausgegangen werden. Der Antragsteller war zwar bei Ergehen der Anordnung Beschuldigter eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, das wegen eines Verstoßes gegen § 17a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz gegen ihn eingeleitet worden war. Grundsätzlich muss vor der Durchführung der streitgegenständlichen Maßnahmen nicht der Ausgang des auslösenden Verfahrens abgewartet werden, da ausreichend für die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung die vorliegende Beschuldigteneigenschaft des Antragstellers Ist. Selbst wenn dieses Verfahren in der Folgezeit eingestellt oder der Antragsteller von dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung frei gesprochen werden sollte, ist dies für die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahme ohne Belang.

Allerdings kann aufgrund der derzeitigen Erkenntnislage im Hinblick auf die früheren Auffälligkeiten des Antragstellers nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass dieser auch künftig als Verdächtigter in den Kreis potentieller Beteiligter an einer aufzuklärenden Straftat einbezogen werden muss. Nach dem sehr substantiierten Vorbringen des Antragstellers ist dieser — abgesehen von dem die Anordnung zur erkennungsdienstlichen Behandlung auslösenden Vorfall — seit 2006 nur in einem Fall in einer Weise auffällig geworden, die einen — vom Antragsgegner als maßgeblich angesehenen — Bezug zu Fußballspielen aufweist, Wegen dieses Vorfalls sind zwar zwei Verfahren gegen den Antragsteller geführt worden, tatsächlich handelte es sich jedoch um einen zusammenhängenden Sachverhalt. In Anbetracht des Umstandes, dass der Antragsteller in der Fußballszene von Rostock offenbar so bekannt ist, dass Polizeibeamten ihn auf dem Aufzeichnungsvideo erkannt haben, und er nach seinem Vorbringen zu Auswärtsspielen mitfährt, erachtet die Kammer - jedenfalls ohne eingehendere Sichtung der Strafakte - den Vorfall vom 5.4.2008 als nicht so beachtlich, dass durch ihn im Zusammenhang mit dem Anlassdelikt eine genügende Wiederholungsgefahr weiterererheblicher Taten offensichtlich zu Tage treten würde. Das Anlassdelikt selbst kann zudem nicht als besonders schwerwiegend erachtet werden. Nach dem Anschein, den die Bildfolge vermittelt, spricht Einiges dafür, dass es sich bei der Vermummung nicht um einen ernsthaften Versuch der Identitätsverschleierung gehandelt hat. Denn der Antragsteller hielt sich immer im gleichen weitestgehend unvermummten Umfeld auf und war lange Zeit deutlich zu erkennen. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, die auf im zeitlichen Zusammenhang mit der Vermummung vorfallende strafrechtlich beachtliche Ereignisse hindeuten würden. Diese Einschätzung wird auch durch die Art der Verfahrensbeendigung unterstrichen. Die dem Antragsteller zur Last gelegten Verstöße zeichnen sich mithin nach der bisherigen Erkenntnislage nicht durch eine besondere Intensität und "hohe kriminelle Energie" aus.

Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass eine offensichtliche Rechtmäßigkeit der Anordnung gegeben ist. Aber auch eine Rechtswidrigkeit ist nicht offenkundig, da insbesondere in einem Hauptsacheverfahren die dem Antragsteller vorgehaltenen früheren Sachverhalte im Einzelnen zu bewerten sein werden. Die vor diesem Hintergrund gebotene Abwägung ergibt einen Vorrang des einer erkennungsdienstlichen Behandlung entgegenstehenden privaten Interesses des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer solchen Behandlung. Dabei fällt der mit einer erkennungsdienstlichen Behandlung verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ins Gewicht sowie der Umstand, dass nach den Ausführungen des Antragsgegners bereits erkennungsdienstliche Unterlagen vom Antragsteller gefertigt worden sind, von deren Nutzlosigkeit während eines eventuellen Hauptsacheverfahrens jedenfalls nicht generell ausgegangen werden kann. Dass die Aufklärung von Straftaten im Zusammenhang mit Fußballspielen, die bei der in den Blick genommenen Art der Delikte überwiegend über Lichtbild erfolgen wird, erheblich erschwert würde, wenn nicht sofort neue erkennungsdienstliche Unterlagen erstellt werden, kann mithin nicht festgestellt werden.