Titel

VG Düsseldorf, Beschluss vom 17.04.2020, Az. 7 L 704/20


"Leave no one behind" - Ausnahmegenehmigung für kleine Demo muss erteilt werden

 


Zitiervorschlag: VG Düsseldorf, Beschluss vom 17.04.2020, Az. 7 L 704/20, zitiert nach POR-RAV


Gericht:

Aktenzeichen:

Datum:


Teaser

1. Einstweilige Anordnung auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung

2. Voraussichtlich 15 Demonstran*Innen müssen ggf. bis zu 50 "Schaulustige" mit Masken ausstatten.

Leitsatz

1. Zum Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach der CoronaSchVO.

2. Grundrecht auf Versammlungsfreiheit kann das Ermessen der Verwaltungsbehörde auf Null reduzieren.

Volltext

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zur Durchführung der Versammlung zum Thema "leave no one behind - Zur Lage der Geflüchteten an der europäischen Grenze und in den griechischen Lagern" auf dem Johannes-Rau-Platz in Wuppertal am 18. April 2020 in der Zeit von 12:00 bis 13:00 Uhr eine Ausnahmebewilligung mit der Maßgabe zu erteilen, dass der Antragsteller

1. für eventuelle Schaulustige mindestens 50 weitere medizinische Schutzmasken oder (nicht-medizinische) Alltagsmasken oder Community-Masken bereitzuhalten und bei Bedarf auszugeben hat

und

2. wenigstens ein Transparent oder sonstiges hinreichend sichtbares Plakat zu benutzen hat, auf welchem Schaulustige zur Einhaltung des nötigen Sicherheitsabstands aufgefordert werden.

Hinsichtlich der Androhung des unmittelbaren Zwangs (Ziffer 2) wird die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

GRÜNDE

Die am 16. April 2020 sinngemäß gestellten Anträge,

die Antragsgegnerin zu verpflichten,

dem Antragsteller zur Durchführung der Versammlung zum Thema "leave no one behind - Zur Lage der Geflüchteten an der europäischen Grenze und in den griechischen Lagern" auf dem Johannes-Rau-Platz in Wuppertal am 18. April 2020 in der Zeit von 12:00 bis 13:00 Uhr im Wege der einstweiligen Anordnung eine Ausnahmebewilligung nach § 11 Abs. 3 CoronaSchVO zu erteilen

und im Übrigen die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 15. April 2020 anzuordnen,

haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig und nur mit den tenorierten Maßgaben begründet. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach§ 80 Abs. 5 V\/IA30 ist hinsichtlich der Androhung unmittelbaren Zwangs zulässig und begründet und im Übrigen unzulässig.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO voraus, dass das Bestehen eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (Anordnungsanspruch), und die besondere Eilbedürftigkeit im Sinne einer Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund), glaubhaft gemacht werden. Im Unterschied zum Beweis verlangt die bloße Glaubhaftmachung keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Die tatsächlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs müssen jedoch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben sein und bei der dann vorzunehmenden vollen Rechtsprüfung zu dem Anspruch führen.

Der Antragsteller hat mit der Maßgabe, dass weitere Schutzmasken für eventuelle Schaulustige und spontane Versammlungsteilnehmer bereitgestellt werden und die Anwesenden auf Plakaten oder Transparenten zur Einhaltung der Sicherheitsabstände aufgefordert werden, einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO für die Durchführung der geplanten Versammlung. Nach dieser Vorschrift können die nach dem Landesrecht für Schutzmaßnahmen nach§ 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes zuständigen Behörden für Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz Ausnahmen zulassen, wenn die Veranstalter die Einhaltung der für den Schutz der Bevölkerung vor Infektionen erforderlichen Maßnahmen (insbesondere Mindestabstände) sichergestellt haben. Dies ist hier bei Einhaltung der vorstehend genannten zusätzlichen Maßnahmen der Fall.

Der Antragsteller selbst hat bereits einige Maßnahmen ergriffen, um die Bevölkerung vor Infektionen zu schützen. So soll die Versammlung mit einer Teilnehmerzahl von max. 15 Personen auf dem Rathausvorplatz südöstlich des Brunnens "das Tal der Wupper" bis zur ersten Laterne durchgeführt werden. Eine spontane Teilnahme an der Versammlung soll nicht gestattet werden. Der Versammlungsleiter will solche Personen von der Versammlung verweisen. Eine öffentliche Bewerbung der Versammlung soll nicht stattfinden. Die Teilnehmer der Versammlung sollen, sofern sie nicht in einem Haushalt wohnen, ausreichend Abstand zueinander halten und während der Versammlung einen Mundschutz tragen. Die Hin- und Abfahrt soll getrennt voneinander mit Kfz, Fahrrad oder öffentlichem Nahverkehr sichergestellt werden. Es sollen keine Flugblätter an Passanten verteilt werden oder direkter Kontakt mit Passanten stattfinden.

Der Johannes-Rau-Platz (Rathausvorplatz) in Wuppertai-Barmen bietet gerichtsbekannt eine ausreichend große Fläche, um die Einhaltung des Sicherheitsabstandes von mindestens 1,5 m zwischen den zu erwartenden Personen zu gewährleisten. Da eine öffentliche Bewerbung nicht stattfinden soll, ist die Wahrscheinlichkeit einer größeren Menschenansammlung aufgrund der Versammlung bereits erheblich reduziert. Auch die kurze Dauer von nur einer Stunde in der Mittagszeit bedingt, dass diese wahrscheinlich nicht von größeren Menschenmengen wahrgenommen wird.

Soweit die Antragsgegnerin ausführt, der Rathausvorplatz sei zu der Zeit der beabsichtigten Versammlung stark frequentiert, weil es in der näheren Umgebung zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten nach § 5 Abs. 1 CoronaSchVO gebe, kann das Gericht dem nicht folgen. Bis auf die in § 5 CoronaSchVO genannten Einrichtungen ist der Betrieb von jeglichen Einzelhandelsgeschäften und Gaststätten eingestellt. Auf dem Rathausvorplatz gibt es mehrere Gastronomie-Betriebe die derzeit geschlossen sind. Auch in der näheren Umgebung befindliche Modegeschäfte sind geschlossen. Dies bedingt bereits eine deutlich geringere Frequentierung in den Fußgängerzonen. Zu berücksichtigen ist insoweit aber auch, dass inzwischen eine entsprechende Sensibilisierung eines Großteils der Bevölkerung stattgefunden hat, weshalb viele ihr Zuhause nur für das Nötigste verlassen und Sicherheitsabstände überwiegend bereits ohne Aufforderung eingehalten werden.

Auch der gewählte Standort der Versammlung auf dem gegenüber der zur Einkaufsstraße zurückgesetzten Platz birgt nicht die Gefahr einer Behinderung des fließenden Fußgängerverkehrs. Die Einhaltung der Sicherheitsabstände durch eventuelle Schaulustige hat der Antragsteller durch eine Aufforderung auf Plakaten zusätzlich sicherzustellen. Wenn der nötige Sicherheitsabstand dennoch nicht eingehalten wird, kann der Versammlungsleiter durch das Megafon auf die Anwesenden einwirken. Nötigenfalls ist die Versammlung durch den Versammlungsleiter aufzulösen.

Soweit die Antragsgegnerin außerdem ausführt, dass nicht-medizinische Schutzmasken einen Infektionsausschluss nicht erreichten, entspricht dies nicht den aktuellen Empfehlungen des Robert-Koch-lnstituts. Das Tragen von (nicht-medizinischen) Alltagsmasken oder Community-Masken schützt insbesondere die Umstehenden vor dem Auswurf von festen oder flüssigen Partikeln durch den (möglicherweise asymptomatischen, aber infektiösen) Träger der Masken.

Vgl. Bund-Länder Beschluss vom 15. April 2020 zu den Beschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung der COVID19-Epidemie, abrufbar unter: https://WWW.bundesregierungde/resource/blob/975226/1744452/b94f2c6792603019015985da586caed3/2020-04-16-bf-bk-laender- data.pdf?download=1

Durch das Bereitstellen von mindestens 50 weiteren Alltagsmasken wird entsprechend ein Schutz vor einem Infektionsrisiko durch und für Schaulustige erreicht.

Soweit die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid ausführt, dass sich öffentliche Versammlungen dadurch auszeichnen, dass viele Teilnehmer eng zusammen gehen und zusammenrücken, um ihre Kernaussage als geschlossene Einheit zu untermauern, ist dies ein Argument, das für jede Versammlung gilt. Ein Totalverbot von Versammlungen wollte der Verordnungsgeber aber gerade nicht erreichen. Ungeachtet dessen, kann bei einer Versammlung, an der nur so wenige Personen teilnehmen, eine geschlossene Einheit aber auch symbolisiert werden, ohne dass die Teilnehmer eng zusammenrücken. Soweit die Antragsgegnerin meint, es liege nicht im Einflussbereich eines Versammlungsleiters, wie viele Teilnehmer tatsächlich zu einer öffentlichen Versammlung kommen und diese die angedachten Maßnahmen zum Schutz vor der Ansteckung mit dem Corona-Virus auch tatsächlich beachten und umsetzen, gilt dies nicht für eine Versammlung mit max. 15 Personen. Bei einer so geringen Personenanzahl kann eine entsprechende Kontrolle durch den Versammlungsleiter gewährleistet werden.

Das der Antragsgegnerin in § 11 Abs. 3 CoronaSchVO in der Rechtsfolge eingeräumte Ermessen ist auf Null reduziert, weil der Antragsteller aus seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung hat. Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet für alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Die Verordnung der nordrhein-westfälischen Landesregierung zur Bekämpfung des Corona-Virus enthält kein ausnahmsloses Verbot von Versammlungen unter freiem Himmel. Die Möglichkeit der Ausnahmegenehmigung ist in § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO unter der Voraussetzung vorgesehen, dass entsprechende Infektionsschutzmaßnahmen gewährleistet werden. Bei Einhaltung dieser Vorgaben sind keine infektionsschutzrechtlichen Umstände mehr ersichtlich, welche den Eingriff in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit rechtfertigen.

Die von der Antragsgegnerin genannten Gründe gelten in ihrer Pauschalität für alle öffentlichen Versammlungen und werden im konkreten Einzelfall dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nicht gerecht.

Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15. April 2020, -Az.: 1 BvR 828/20-

Der Antragsteller hat für die am 18. April 2020 stattfindende Versammlung auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Verstoß gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache liegt nicht vor, weil ein effektiver Rechtsschutz anders nicht zu erreichen ist.

Angesichts des bestehenden Anspruchs auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 11 Abs. 3 CoronaSchVO fällt auch die lnteressenabwägung nach § 80 Abs. 5 VWGO hinsichtlich der in der Ordnungsverfügung vom 15. April 2020 enthaltenen Androhung von unmittelbarem Zwang zu Gunsten des Antragstellers aus.

Soweit sich der Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bezüglich der Versagung der Ausnahmegenehmigung richtet, ist er unzulässig. Insoweit ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statthaft, § 123 Abs. 5 VwGO.

Die Kostenentscheidung folgt aus§ 155 Abs. 1 Satz 3 VWGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf§§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Rechtsmittelbelehrung….