Titel

VG Hamburg, Beschluss vom 11.02.2011, Az. 4 E 279/11
Rechtswidrigkeit einer Auflage zur Verlegung des Versammlungsorts wegen befürchteter Ausschreitungen, da Gefahrprognose nicht begründet und Geeignetheit des Alternativorts nicht belegt.

 


Zitiervorschlag: VG Hamburg, Beschluss vom 11.02.2011, Az. 4 E 279/11, zitiert nach POR-RAV


Gericht:

Aktenzeichen:

Datum:


Leitsatz

Protestkonzert gegen NPD-Kundgebung darf am vom Veranstalter angemeldeten Ort stattfinden. Frühere gewalttätige Ausschreitungen rechtfertigen Gefahrprognose nicht.

Volltext

TENOR

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die in der Anmeldebestätigung vom 8. Februar 2011 enthaltene Auflage Nr. 1 wird angeordnet mit der Maßgabe den Veranstaltungsort durch geeignete Maßnahmen zur Wasserselte abzusichern (Absperrgitte o.ä.)

[...]

GRÜNDE

I. Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen eine im Bescheid vom 8. Februar 2011 festgesetzte Auflage für die Durchführung einer für Sonnabend, den 12. Februar 2011, geplanten Versammlung.

Am 1. Februar 2011 meldete der Antragsteller eine Versammlung mit Konzertveranstaltung mit dem Thema „Antifa Konzert mit Dubtari gegen den Nazi-Aufmarsch in Hamburg“ an. Die Anmeldung enthält die Angabe, dass der Veranstalter etwa 500 Teilnehmer erwarte. Die Veranstaltung soll nunmehr von 11.00 Uhr bis etwa 13 Uhr dauern und am Jungfernstieg neben dem Restaurant „Alex“ in der Hamburger Innenstadt stattfinden.

Die Antragsgegnerin befürchtet, dass es im Zuge der geplanten Versammlung in der Innenstadt zu erheblichen Gefährdungen und Störungen sowie nach dem Vorbild früherer Veranstaltungen zu Ausschreitungen kommen könnte. Dies insbesondere weil eine NPD-Veranstaltung für denselben Zeitpunkt in der Nähe des von dem Antragsteller begehrten Veranstaltungsorts auf dem Gänsemarkt in der Hamburger Innenstadt stattfinden werde und die Veranstaltung des Antragstellers sich als Gegenveranstaltung zu dieser verstehe. Auch erachtet die Antragsgegnerin den Platz am Jungfernstieg für die von ihr geschätzte Teilnehmerzahl von 1.000 bis 1.500 als zu klein, so dass zu befürchten sei, dass die Teilnehmer auf die Fahrbahnen ausweichen müssten oder aber die Nähe zum Binnenalsterufer für sie gefährlich werden könne. Der Bereich der Innenstadt sei bereits auf der Achse Dammtorstraße/Gänsemarkt im Fahrverkehr gesperrt, so dass eine weitere Verkehrsbeeinträchtigung im Innenstadtbereich durch eine zusätzliche Fahrbahnsperrung Ecke Jungfernstieg für rechte Dritter nicht hingenommen werden könne.

Nach der Anmeldung dieser Veranstaltung kam es zwischen dem Antragsteller und Verantwortlichen der Antragsgegnerin zu mehreren Kooperationsgesprächen über die Einzelheiten der Durchführung, die letztlich zu der angegriffenen Verfügung führten, die insgesamt 5 als „Auflagen“ bezeichnete beschränkende Verfügungen umfasst, wovon nur die Nr. 1 vom Antragsteller angegriffen wird.

Die Auflage Nr. 1 lautet wie folgt:

„Die Versammlung hat auf dem Johannes-Brahms-Platz, ausgenommen Fläche des Ring 1 stattzufinden (Fläche vor der Laeiszhalle und den ehemaligen Gerichten).“

Die Antragsgegnerin ordnete die sofortige Vollziehung an mit der Begründung, eine generell hohe Gewaltbereitschaft der Teilnehmer sei zu erwarten, wie zurückliegende Versammlungen mit vergleichbarem Teilnehmerkreis gezeigt hätten.

Mit Schreiben vom 10. Februar 2011 erhob der Antragsteller Widerspruch. Am selben Tag hat der Antragssteller den vorliegenden Antrag gestellt mit dem Ziel, die aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs in Bezug auf die oben aufgeführte Auflage wiederherzustellen.

II. Der Antrag ist zulässig und unter der Maßgabe begründet, dass der Antragsteller Sicherheitsvorkehrungen (Absperrgitter o.ä.) zu schaffen hat, die die Versammlungsteilnehmer im Hinblick auf den Veranstaltungsort vor Gefahren angesichts der Wassernähe schützen. Insoweit hat er die Wasserseite des Veranstaltungsortes zur Binnenalster durch geeignete Maßnahmen abzusichern.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung, wenn – wie hier – die sofortige Vollziehung durch die Behörde besonders angeordnet wird. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs ist begründet, wenn die Behörde, die die sofortige Vollziehung angeordnet hat, das besondere Interesse an der Anordnung des Sofortvollzugs nicht hinreichend begründet hat und/oder die vom Gericht vorzunehmende eigenständige Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Antragstellers am Bestand der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Für diese Interessenabwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten der Hauptsache maßgeblich. Führt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache dazu, dass der Rechtsbehelf offensichtlich Erfolg haben wird, so kann kein Interesse der Öffentlichkeit oder anderer Beteiligter daran bestehen, dass der mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrige Verwaltungsakt sofort vollzogen wird. Wird der Hauptsacherechtsbehelf umgekehrt aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, muss der Antragsteller grundsätzlich nicht einstweilen aus privaten Interessen von dem Vollzug des rechtmäßigen Verwaltungsakts verschont bleiben. Hiervon ausgehend ist der vorliegende Antrag erfolgreich, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht durch besondere überwiegende öffentliche Interessen gerechtfertigt ist.

Nach der in diesem Eilverfahren allein möglichen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung dürfte die Auflage Nr. 1 rechtswidrig sein.

a) Die vom Antragsteller angemeldete Veranstaltung ist eine Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts, weil sie -trotz des Musikveranstaltungsteils versammlungsrechtlichen Charakter hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl.·zB. Beschl., v. 12.07.2001, 1 BvQ 28/01, juris) kommt es maßgeblich darauf an, ob es sieh um eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung handelt. Es reicht nicht aus, dass alle Teilnehmer bei ihrem gemeinschaftlichen Verhalten durch irgendeinen Zweck miteinander verbunden sind. Das Bundesverfassungsgericht stellt ausdrücklich fest, dass etwa eine Musik- und Tanzveranstaltung nicht allein dadurch insgesamt zu einer Versammlung im Sinne des Art. 8 GG wird, dass bei ihrer Gelegenheit auch Meinungskundgaben erfolgen. Abzustellen ist auf den Schwerpunkt der Veranstaltung. Die rechtliche Beurteilung richtet sich danach, ob die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist oder ob der Spaß-, Tanz- oder Unterhaltungszweck im Vordergrund steht. Vorliegend stellt sich die Veranstaltung im Wesentlichen als Kundgebung zur Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung dar. Dies folgt zum einen aus den in dem Flyer zur Veranstaltung angekündigten Reden der verschiedenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und zum anderen aus dem Umstand, dass auch das Konzert selbst ein Protestkonzert gegen den Aufmarsch von Neonazis auf dem Gänsemarkt" sein soll .

b) Die Auflage Nr. 1 der geplanten Veranstaltung findet ihre rechtliche Grundlage nicht in § 15 Abs. 1 VersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Zwar zählen zu den insoweit zulässigen Auflagen auch Anordnungen über den Versammlungsort, die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG sind aber nicht erfüllt.

Die beschränkende Verfügung soll Rechtsgütern dienen, deren Schutz im betroffenen Fall der Ausübung der Versammlungsfreiheit vorgeht, und sie soll den Gefahren auf eine Weise entgegenwirken, die stärker beeinträchtigende Maßnahmen, etwa ein Verbot der Versammlung, nicht erforderlich werden lassen. Unter Berücksichtigung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügungen müssen daher erkennbare Umstände dafür vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergibt. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04, juris).

Das Gericht teilt die Einschätzung der Antragsgegnerin nicht, dass die Veranstaltung bei Benutzung des vom Antragsteller geplanten Veranstaltungsorts Jungfernstieg neben dem Restaurant "Alex“ zu einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit führen würde, soweit die Maßgabe befolgt wird, dass der Antragsteller Sicherheitsvorkehrungen (Absperrgitter o.ä.) zu schaffen hat, die die Versammlungsteilnehmer im Hinblick auf den Veranstaltungsort vor Gefahren angesichts der Wassernähe schützen.

aa) lnsbesondere hält es entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin den von der Antragsgegnerin in der Auflage Nr. 1 ausgewiesenen Veranstaltungsort Johannes-Brahms-Platz angesichts eines dort ab 14.00 Uhr in der Laeiszhalle stattfindenden Konzerts (für Kinder ab 8 Jahren) für ungeeignet, wenn berücksichtigt wird, dass die Versammlungsteilnehmer ab dem Ende der Versammlung um 13.00 und die heranströmenden Konzertbesucher, zu denen insbesondere Familien mit Kindern zählen dürften, dort für eine Überlastung der Verkehrssituation sorgen würden. Demgegenüber ist der vom Antragsteller begehrte Veranstaltungsort nach Überzeugung des Gerichts einer Gefahr der Überlastung nicht im erhöhten Maße ausgesetzt, wie das für den Johannes-Brahms-Platz angesichts der Konzertveranstaltung anzunehmen sein dürfte.

Auch die Gefahren, die die Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Nähe zum Wasser verträgt, vermögen eine Verlegung des Veranstaltungsorte nicht zu begründen. Denn insoweit ist als milderes Mittel eine Auflage angezeigt mit der Maßgabe, dass der Antragsteller Sicherheitsvorkehrungen (Absperrgitter o.ä.) zu schaffen hat, die die Versammlungsteilnehmer im Hinblick auf den Veranstaltungsort vor Gefahren angesichts der Wassernähe schützen. Die auf dem Platz befindlichen Bänke und Stufen sind entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht geeignet, eine Gefahrenprognose zu begründen. Denn diese sind so weitläufig und großräumig gebaut, dass selbst im Falle eines kurzfristigen Verlassens der Fläche am Jungfernstieg eine Gefahr im hier geforderten Sinne von der Antragsgegnerin nicht substantiiert und gesichert prognostiziert ist. Eine Gefahrenprognose anhand von erkennbaren Umständen für eine entsprechende Gefahr hat die Antragsgegnerin insoweit nicht anhand von konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkten belegt im Übrigen hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt, dass diese Gefahr am Johannes-Brahms-Platz, der ebenfalls stufenförmig bebaut ist, nicht gegeben sei.

bb) Soweit die Antragsgegnerin befürchtet, dass durch die Veranstaltungen auf dem Gänsemarkt und auf dem Jungfernstieg gewaltbereite Personen angezogen werden, so ist dies nicht hinreichend konkretisiert in Bezug auf den hier allein maßgeblichen Umstand, dass dies gegen den Veranstaltungsort Jungfernstieg im Vergleich zum Johannes-Brahms-PIatz spricht. Denn die Einschränkung der Versammlungsfreiheit ist nur dann zulässig, wenn nach den dargelegten Umständen die gesicherte Annahme besteht, dass an der Versammlung eine nicht geringe Zahl gewaltbereiter Personen teilnehmen werde, von denen derartige Aktionen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 26.5.2O07, 4 Bs 130/07; Beschl. v. 30.4.2008, 4 Bs 90/O8, unveröffentlicht) und daraus Gefahren drohen, die mit der Auflage hinsichtlich des Veranstaltungsorts beseitigt werden können. Dafür spricht allerdings wenig, denn es ist nicht zur Überzeugung des Gerichts die gesicherte Annahme gegeben, dass die Gefahren hinsichtlich gewaltbereiter Personen am Jungfernstieg größer seien als am Johannes-Brahms- Platz. Denn es kann eine Auseinandersetzung gewaltbereiter Demonstranten mit den Teilnehmern der NPD-Veranstaltung am Johannes-Brahms-Platz ebenso wenig mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden wie am Jungfernstieg.

Im Übrigen sind die von der Antragsgegnerin herangezogenen Umstände nicht hinreichend geeignet eine von der Versammlung selbst ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit nahezulegen, die den Erlass einer gegenüber der Versammlung belastenden Auflage hätte rechtfertigen können:

Zwar durfte die Antragsgegnerin grundsätzlich den Verlauf vorangegangener Veranstaltungen vergleichbarer Art als Indiz heranziehen, da sie Ähnlichkeiten zu der von dem Antragsteller veranstalteten Versammlung als Gegenveranstaltung zur NPD-Kundgebung aufweisen. Darin liegen allerdings noch keine nachvollziehbaren tatsächlichen Anhaltspunkte, wie sie für eine Gefahrenprognose im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG erforderlich sind. Vor allem lässt sich diesen Verweisen auf vorangegangene Veranstaltungen durch die Antragsgegnerin nicht entnehmen, dass sich die Teilnehmer der Versammlung des Antragstellers bei dieser Gelegenheit nicht rechtstreu verhalten hätten.

Vielmehr beschreibt die Antragsgegnerin lediglich Übergriffe gewalttätiger linker Gegendemonstranten. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Teilnehmer der von dem Antragsteller geplanten Versammlung aus eigenem Antrieb die gewalttätige Auseinandersetzung mit den Teilnehmern der NPD- Veranstaltung suchen werden, lassen sich nicht finden.

Das Gericht berücksichtigt dabei, wie die Antragsgegnerin zu Recht ausführt, dass am Vormittag des Sonnabends die Innenstadt von großen Mengen von Menschen besucht wird. Diese Besucher halten sich in der Innenstadt nach Einschätzung des Gerichts aber wohl eher in der Nähe der Läden und Geschäfte auf, die auf dem Platz neben dem Restaurant "Alex" nicht vorhanden sind. Würde sich hier zusätzlich nach eine Auseinandersetzung mit Gewaltbereiten oder der NPD-Veranstaltung ergeben, so gibt der Veranstaltungsort neben dem Restaurant "AIex" einen ausreichenden Bewegungsspielraum, um Teilnehmer in Richtung der Straße Neuer Jungfernstieg/Außenalster über die breiten Wege und Straßen unter Schutz durch die Antragsgegnerin abziehen lassen zu können. Eine derartige Eskalation, wie es sie in der Vergangenheit gegeben hat, dürfte von den Einsatzkräften der Antragsgegnerin auch beherrscht werden können, indem ein Riegel zwischen beide Veranstaltungen durch Sperrung des Jungfernstiegs in Höhe knapp hinter dem Gänsemarkt gebracht würde. Damit wären auch die von der Antragsgegnerin befürchteten chaotischen Zustände in den Einkaufsstraßen der Hamburger Innenstadt zu vermeiden. Auf diese Weise kann sowohl den Sicherheitsinteressen der Antragsgegnerin als auch dem Interesse des Antragstellers an einer angemessenen Wahrnehmung der von ihm angemeldeten Versammlung Rechnung getragen werden. Insgesamt scheint die Gefahrenprognose der Antragsgegnerin allein auf der - nicht ausgesprochenen - Vermutung zu gründen, die Teilnehmer der vom Antragsteller geplanten Versammlung könnten durch Gewaltbereite gewissermaßen ,,als Schutzschild“ missbraucht werden. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen ohne hinreichende konkrete Tatsachengrundlage reichen jedoch, wie dargelegt, für die Gefahrenprognose im Rahmen des § 15 Abs. 1 VersG nicht aus. Insbesondere lässt sich diese Gefahrenprognose nicht aus den von der Antragsgegnerin zur Akte gereichten lnternetäußerungen der gewaltbereiten Szene belegen.

Denn es ist weder ersichtlich noch belegt, dass diese Äußerungen im Zusammenhang mit der vom Antragsteller geplanten Versammlung stehen. Vielmehr weisen diese auf eine Zielrichtung gegen die von der Antragsgegnerin genehmigten NPD- Versammlung auf dem Gänsemarkt hin. Der Umstand, dass bei der von dem Antragsteller geplanten Versammlung Störungen der öffentlichen Sicherheit durch gewaltbereite linke Demonstranten zu befürchten sind, gibt den zuständigen Behörden Anlass, zuvörderst gegen die befürchteten gewaltbereiten Gruppen Maßnahmen zu ergreifen. Das durch gewaltbereite Demonstranten drohende Gefahrenpotential ist der von dem Antragsteller geplanten Versammlung vorliegend nicht zurechenbar.

cc) Auch soweit die Antragsgegnerin bei ihrer Gefahrenprognose auf die Größe des zu erwartenden Teilnehmerkreises an der von dem Antragsteller geplanten Versammlung abgestellt hat, trägt dieser Umstand die Auflage nicht. Denn allein aus der Größe einer Versammlung kann nicht auf die Gewaltbereitschaft der Teilnehmer geschlossen werden.

dd) Soweit die Antragsgegnerin die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet sieht, erkennt das Gericht die hinreichende Darlegung einer Gefahrenprognose in hier geforderter Qualität ebenfalls nicht. Das den Grundrechtsträgern durch Art. 8 GG eingeräumte Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt sowie Art und Inhalt der Veranstaltung ist durch den Schutz der Rechtsgüter Dritter und der Allgemeinheit begrenzt. Es umfasst nicht auch die Entscheidung, welche Beeinträchtigungen die Träger kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben. Die Sperrung einer Straße beeinträchtigt grundsätzlich die Fortbewegungsfreiheit der an der Straßenbenutzung gehinderten Kraftfahrzeugführer, der Betreiber und Nutzer des Öffentlichen Personennahverkehrs und eventuell auch deren Freiheit beruflicher Betätigung. Mit der Ausübung des Versammlungsrechts sind häufig unvermeidbar gewisse nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen Dritter verbunden (vgl. BVerfGE 73, 206 (250)). Derartige Behinderungen Dritter und Zwangswirkungen sind durch Art. 8 GG gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind (vgl. BVerfGE 73, 206 (250)). Das Versammlungsgesetz und die allgemeine Rechtsordnung sichern die Einhaltung dieser Grenze. Wird sie durch eine unmittelbare Gefährdung oder Störung der öffentlichen Sicherheit überschritten, ist dies — wie § 15 VersG ergibt - rechtswidrig (BVerfGE 104, 92 ff.).

Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass die vom Antragsteller geplante VersammIung für die Verkehrsteilnehmer zwar für wenigstens drei Stunden Beeinträchtigungen dann mit sich bringen wird, wenn -wie die Antragsgegnerin zur Kapazität des Veranstaltungsorts Jungfernstieg vorträgt- die Teilnehmerzahl über 800 Personen hinausgeht und deshalb die Versammlung sich auf die dortigen Fahrbahnen ausbreitet. Diese sind allerdings als sozial-adäquate Nebenfolge der Versammlung hinzunehmen, auch wenn das eine Umleitung für den Kraftfahrzeug- und Öffentlichen Personennahverkehr mit sich bringt. Denn zum einen ist eine Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs in der Form ungestört möglich, dass die U- und S-Bahnen der Station „Jungfernstieg“ weiterhin genutzt werden können. Und zum anderen bleibt der lnnenstadtbereich - wenn auch mit zeitlichen Einbußen- über den Ballindamm für Kraftfahrzeuge weiter erreichbar.

dd) Die von der Antragsgegnerin dargelegte Gefahrenprognose im Hinblick auf den befürchteten Lärm gibt vorliegend keine Rechtfertigung für eine Verlegung des begehrten Veranstaltungsorts. Denn inwieweit der Lärm am Johannes-Brahms-Platz eine geringere Gefahr gegenüber dem Platz am Jungfernstieg darstellt, ist nicht plausibel und nachvollziehbar von der Antragsgegnerin dargelegt, denn hier wie dort ist der Gänsemarkt mit dem von der Gegenveranstaltung der NPD verursachten Lärm in der Nähe und die Umgang von Wohn-, Büro und Geschäftsbebauung geprägt. Und im Übrigen ist es der Antragsgegnerin unbenommen, insoweit Lärmschutzauflagen zu verfügen.