Titel

VG Wiesbaden, Urteil vom 02.02.2005, Az. 5 E 985/04 (V)
Die Aufforderung sich nach Auflösung einer Versammlung zu entfernen ist kein Platzverweis

 


Zitiervorschlag: VG Wiesbaden, Urteil vom 02.02.2005, Az. 5 E 985/04 (V), zitiert nach POR-RAV


Teaser

Die Aufforderung, eine aufgelöste Versammlung zu verlassen, stellt keinen Platzverweis dar. Ein Platzverweis kann erst nach Durchsetzung dieser Pflicht zum Verlassen der aufgelösten Versammlung ausgesprochen werden. Eine Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines solchen Platzverweises ist nur zulässig, wenn kein milderes Mittel, wie z.B. die Absperrung des Demonstrationsortes, zur Verfügung steht.

Leitsatz

1. Nach der Auflösung einer Versammlung muss erst auf die Entfernungspflicht hingewiesen werden. Insoweit wird der Grundrechtsschutz aus Art. 8 Abs. 1 GG nach, der ein sich-Entfernen in angemessener Zeit erlaubt. Der Hinweis auf die Entfernungspflicht stellt keinen Platzverweis dar.

2. Ein Platzverweis kann nach der Räumung einer Blockade durch unmittelbaren Zwang erst außerhalb des Versammlungsortes ausgesprochen werden, um die Rückkehr zum Versammlungsort zu vermeiden.

3. Eine Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung eines Platzverweises kann nur ausgesprochen werden, wenn kein milderes Mittel – wie etwa das Absperren des Versammlungsortes – zur Verfügung steht und Anlass zur Annahme besteht, die betroffene Person würde den Platzverweis nicht befolgen.

4. Die Ingewahrsamnahme kann nur durch gewichtige Gründe gerechtfertigt werden. Sie muss stets das äußerste polizeiliche Mittel zur Verhinderung von Schäden oder Gefahren sein und darf weder als Mittel zur Erleichterung polizeilicher Arbeit noch als Sanktions- und Disziplinierungsinstrument angewendet werden.

5. Es kann dahingestellt bleiben, ob § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Verwaltungskostengesetzes (HVwKostG) eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Kostenheranziehung darstellt.

Volltext

TENOR:

I. Der Bescheid des Beklagten vom 14.11.2003 und der Widerspruchsbescheid vom 10.03.2004 werden aufgehoben.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in der¬selben Höhe leistet.

GRÜNDE:

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zuU Polizeikosten.

Der Kläger blockierte am 15.03.2003 aus Protest gegen den Irak-Krieg zusammen mit etwa 3.000 anderen Demonstranten das Haupttor der Zufahrt zur Cargo City Süd und zur Air Base am Flughafen Frankfurt am Main. Nach dem Bericht des Polizeieinsatzleiters vom 02.04.2003 erreichte der Demonstrationszug gegen 13.43 Uhr den Bereich vor dem Haupttor, die Teilnehmer ließen sich dort gruppenweise nieder und blockierten die Zufahrt. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hätte am Tag zuvor mit Eilbeschluss entschieden, dass die Kundgebung nur auf dem unmittelbar westlich neben der Anschlussstelle Zeppelinheim gelegenen Parkplatz, nördlich neben der neuen Zufahrt der Fraport, stattfinden dürfe und die Ein- und Ausfahrt sowie der Zugang in den befriedeten Bereich des Frankfurter Flughafens, zur Cargo City Süd und zur Air Base zu gewährleisten sei (Az.: 5 G 1165/03; die Beschwerde der dortigen Antragsgegnerin die zuvor ein Totalverbot der Versammlung ausgesprochen hatte, blieb erfolglos - Beschluss des Hess.VGH vom 14.03.2003, Az.: 6 TG 69 1/03 -). Trotz Aufforderung durch die Polizei suchten die Versammlungsteilnehmer den vorgesehenen Versammlungsort auf dem Parkplatz nicht auf. Um 14.42 Uhr wurde deshalb die Versammlung für aufgelöst erklärt. Um 15.50 Uhr begann die Polizei mit der Räumung des Geländes. Die betroffenen Personen wurden weggetragen und teilweise in Gewahrsam genommen. Ausweislich Blatt 7 und 8 der Behördenakte wurde der Kläger ab ca. 18 Uhr vom Haupttor auf einen umschlossenen Parkplatz neben dem Gate gebracht und nach Personalienfeststellung zum Bahnhof Zeppelinheim verbracht.

Mit Bescheid vom 14.11.2003 wurde der Kläger zur Zahlung von Gebühren nach dem Hessischen Verwaltungskostengesetz in Höhe von 31,-- € herangezogen, und zwar für die Verbringung zum Bahnhof Zeppelinheim.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und rügte, die Maßnahmen der Polizei seien eindeutig dem Bereich der Strafverfolgung, nicht dem der Gefahrenabwehr zuzuordnen gewesen. Gegen alle Beteiligten der Versammlung vom 15.03.2003 seien Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet worden. Dem Bescheid könne außerdem nicht entnommen werden, wofür Kosten festgesetzt worden seien. Im Übrigen habe sich nach der Auflösung der ursprünglichen Demonstration gegen 15.00 Uhr eine Spontanversammlung gebildet, diese habe von der Polizei nicht aufgelöst werden dürfen. Es habe sich um aktives staatsbürgerliches Vorgehen gegen den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg gehandelt. Der Kläger habe friedlich und gewaltfrei demonstriert.

Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 10.03.2004 zurückgewiesen. Nachdem der Kläger - so die Begründung des Bescheides - als Teilnehmer an der Sitzblockade trotz Auflösung der Versammlung seiner Entfernungspflicht nicht nachgekommen sei und die Platzverweisung durch die eingesetzten Polizeikräfte nicht befolgt habe, sei er zur Durchsetzung der Platzverweisung in Verbringungsgewahrsam genommen worden. Hierzu habe man ihn mit einem Dienstfahrzeug zum Bahnhof Zeppelinheim transportiert und von dort aus dem Gewahrsam entlassen. Die Gebühr für den Transport mit einem Dienstfahrzeug betrage gemäß den Nummern 5621 und 56211

(….) (Anm. der Redaktion: Der Tatbestand liegt hier leider nicht vollständig vor).

Entscheidungsgründe

Das Urteil konnte nach § 101 Abs. 2 VwGO ergehen, weil beide Beteiligte auf münd¬liche Verhandlung verzichtet haben. Sie haben sich auch mit einer Verfahrensweise nach § 87 a Abs. 2 VwGO einverstanden erklärt.

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kostenbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Es kann dahingestellt bleiben, ob § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Verwaltungskostengesetzes (HVwKostG) eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Kostenheranziehung darstellt. Es bestehen Bedenken, ob die Formulierung “auf Veranla¬sung Einzelner“ als hinreichend bestimmt angesehen werden kann. Diese Zweifel hegt das Gericht insbesondere deshalb, weil der Begriff “auf Veranlassung“ in der Anwendung weit verstanden wird und alle Fälle rechtlicher Zurechnung erfassen soll (vgl. Schlabach, Verwaltungskostenrecht, § 1 LGebG, Rdnr. 39), unabhängig davon, ob die Amtshandlung auf Antrag oder im Interesse des Kostenpflichtigen vorgenommen wurde. Insoweit soll bereits ein Verhalten, das den Grund für das Tätigwerden der Behörde setzt, ausreichend sein, also insbesondere das des Störers nach polizeirechtlichen Grundsätzen (ders., a.a.O., Rdnrn 41 und 44).

Diese Rechtsfrage muss allerdings nicht abschließend entschieden werden, denn selbst wenn man § 1 Abs. 1 Nr. 1 HVwKostG trotz der weiten Formulierung im Falle ordnungsrechtlicher Verantwortlichkeit als nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt (vgl. dazu BVerwGE 85, 300, 303) ansieht, so ergibt sich die Rechtswidrigkeit des Kostenbescheides hier daraus, dass keine rechtmäßige Amtshandlung vorliegt, für die der Kläger kostenpflichtig wäre.

Es ist aus den angegriffenen Bescheiden nicht zweifelsfrei ersichtlich, für welches polizeiliche Handeln Kosten angefallen sein sollen. Der Ausgangsbescheid nennt keine Rechtsgrundlage für die kostenpflichtige polizei¬liche Maßnahme, im Widerspruchsbescheid beruft sich der Beklagte auf § 32 Abs. 1 Nr. 3 HSOG und Ziffern 5621 sowie 56211 des Verwaltungskostenverzeichnisses (“Transport von Personen“).

Von einem Platzverweis direkt nach Auflösung der Demonstration - für dessen Durchsetzung dann Kosten erhoben werden - ist jedoch erstmals im Widerspruchsbescheid die Rede. Der Polizeibericht vom 02.04.2003 erwähnt lediglich die um 14.42 Uhr erklärte Auflösung der Versammlung. In der danach jedem Versammlungsteilnehmer gegenüber ausgesprochenen Aufforderung, den Platz zu verlassen, liegt nach Aktenlage kein Platzverweis im Sinne von § 31 HSOG, sondern der Hinweis auf die Rechtsfolge der Versammlungsauflösung mit dem Gebot, sich zu entfernen, und ggf. die Androhung des Einsatzes von Zwangsmitteln, falls der Angesprochene dem nicht freiwillig Folge leisten werde. So beschreibt auch der Polizeibericht im Parallelverfahren 5 E 1031/04 (BI. 7 der dortigen Behördenakte) den Ablauf so, dass die Personen nach dem Entfernungsgebot vom Versammlungsort weggetragen wurden (was der Beklagte dort als Anwendung unmittelbaren Zwangs qualifiziert hat), dann wurden deren Personalien festge¬stellt und erst danach ein Platzverweis erteilt (wohl um eine Rückkehr zum Versammlungsort zu verhindern); sodann wurden die Personen entlassen oder - wie der Kläger des vorliegenden Verfahrens - zum Bahnhof Zeppelinheim verbracht. Soweit der Beklagte nun in der Klageerwiderung behauptet, vor dem Wegtragen sei jedem Versammlungsteilnehmer gegenüber ein Platzverweis ausgesprochen worden, muss er sich entgegenhalten lassen, dass diese Behauptung sich nicht mit dem Polizeibericht und den Stellungnahmen in den Parallelverfahren 5 E 1031/04 und 5 E 1388/04 deckt. Außerdem begegnete ein Platzverweis in diesem Stadium rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts, wenn er als nächste Maßnahme zeitlich unmittelbar nach einer versammlungsrechtlichen Auflösungsverfügung ausgesprochen würde. Solange nämlich eine Menschenmenge den Versammlungsbegriff erfüllt, darf § 31 HSOG nicht angewendet werden (vgl. dazu BVerrG, NVwZ 2005, S. 80). Nach der Auflösung der Versammlung muss deshalb zunächst auf die Entfernungspflicht hingewiesen werden (vgl. dazu BVerfG, NVwZ 2005, 80). Nach der Auflösung der Versammlung muss deshalb zunächst auf die Entfernungspflicht hingewiesen werden. Insoweit wirkt nämlich der Grundrechtsschutz aus Art. 8 Abs. 1 GG noch nach, denn er erlaubt ein Sich-Entfernen in angemessener Zeit (vgl. dazu Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, H 538). Erst nach dieser Zeit und wenn die Entfernenspflicht nicht befolgt wird oder durchgesetzt werden kann, kann - rechtmäßig - eine auf § 31 HSOG gestützte Platzverweisung erfolgen (vgl. Hornmann, § 31 HSOG, Rdnr. 4). Dass der nachwirkende Grundrechtsschutz - etwa wegen Unfriedlichkeit der Versammlung - hier vorzeitig erloschen wäre, kann nicht festgestellt werden. Sollte dem Kläger gegenüber überhaupt ein Platzverweis ausgesprochen worden sein, so kann dies rechtmäßig erst nach dem Wegtragen (auch in der Räumungsphase II, in die die Maßnahmen gegen den Kläger fielen) und nach der Personalienfeststellung außerhalb des Versammlungsortes erfolgt sein, um eine Rückkehr des Klägers zum ursprünglichen Versammlungsort zu verhindern.

Die lngewahrsamnahme (Verbringungsgewahrsam) zur Durchsetzung eines solchen Platzverweises ist jedoch unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den Platzverweis nicht hätte befolgen und zum Haupttor hätte zurückkehren wollen, sind den Polizeiberichten auch nicht ansatzweise zu entnehmen. Eine derartige Absicht hat auch der Kläger nicht vorgetragen oder erkennen lassen. Allein der Umstand, dass es bei der freiwilligen Entfernung der Versammlungsteilnehmer zu kleineren Blockaden auf den Verkehrswegen zum Bahnhof Zeppelinheim kam und die Beeinträchtigungen durch die Versammlung und deren Auflösung “sich sonst noch Stunden (hätten) hinziehen können“ (so die Stellungnahme des EPHK XXX vom 15.11.2004, BI. 80 und 81 der Gerichtsakte), rechtfertigt nicht einen Freiheitsentzug nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 HSOG. Denn diese Maßnahme kann nur ergriffen werden, um einen Platzverweis durchzusetzen, also um eine Rückkehr des Versammlungsteilnehmers zum geräumten Versammlungsort zu verhindern -‚ nicht aber um die Leichtigkeit des Verkehrs beim Abmarsch zu gewährleisten.

Aber auch unterstellt, der Kläger hätte sich dem Platzverweis widersetzen wollen, wäre der Verbringungsgewahrsam hier unverhältnismäßig gewesen. Wenn man einen Verbringungsgewahrsam überhaupt für zulässig erachtet (verneinend insoweit Hornmann, § 31 HSOG, Rdnr. 6 unter Verweis auf Lisken/Denninger, F 269; § 32 HSOG, Rdnr. 10 unter Verweis auf OVG Bremen, NVwZ 1987, S. 235 und Maaß, NVwZ 1985, S. 151), so kann er allenfalls dann als verhältnismäßig angesehen werden, wenn er als milderes Mittel etwa gegenüber dem Einsperren in einem Polizeifahrzeug oder auf der Polizeiwache angesehen wird, um beispielsweise randalierende Demonstranten vom Veranstaltungsort zu entfernen und an einer Rückkehr dorthin zu hindern (vgl. Lisken/Denninger, F 439). Dass solche Umstände hier vorgelegen hätten, ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Platzverweis nicht mit milderen Mitteln, etwa einer Absperrung des ursprünglichen Versammlungsgeländes, hätte durchgesetzt werden können. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall einzig die lngewahrsamnahme zum gewünschten Erfolg führen konnte.

Bei dieser Sachlage kommt es weder entscheidend auf die Frage an, ob der Kläger nach der Auflösung der Versammlung sich als Teilnehmer einer anschließenden Spontanversammlung erneut auf den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG berufen konnte und ob ggf. die Spontanversammlung zunächst hätte erneut nach Versammlungsrecht aufgelöst werden müssen (oder ob die ursprüngliche Auflösungsverfügung auch im Hinblick auf die behauptete anschließende Spontanversammlung Wirkungen entfalten konnte). Ebenso wenig ist vorliegend von Bedeutung, ob die ursprüngliche Auflösungsverfügung und das Wegtragen vom Versammlungsort rechtmäßig und unter Beachtung des vom Verwaltungsgericht Frankfurt am Main (Beschluss vom 14.03.2003 im Verfahren 5 G 1165/03; vgl. dazu auch Hess.VGH, Beschluss vom 14.03.2003, Az.: 6 TG 691/03) gesetzten Zeitrahmens erfolgten, denn für diese Maßnahmen werden keine Kosten geltend gemacht. Auch die Frage, ob die lngewahrsamnahme überwiegend repressiven oder präventiven Charakter hatte, ist nicht (mehr) entscheidungserheblich.

Auch eine andere Rechtsgrundlage, nach der die lngewahrsamnahme als rechtmäßig angesehen werden könnte, kann nicht herangezogen werden. Soweit der Kläger sich ausführlich mit § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG auseinandersetzt, muss zunächst festgestellt werden, dass der Beklagte diese Regelung selbst nicht für die Begründung seiner Kostenanforderung genannt hat. Im Rahmen des § 47 HVwVfG wäre aber eine Umdeutung bzw. Prüfung einer alternativen Ermächtigung möglich. Auch insoweit fehlt es jedoch an den Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG, insbesondere an der Unerlässlichkeit.

Das Gericht hat schon Zweifel, ob der Beklagte - wenn er den Kläger hätte daran hindern wollen, zum Versammlungsort zurückzukehren - vom Tatbestandsmerkmal “Fortsetzung ... einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ bei unterstellter weiterer Teilnahme an einer aufgelösten Versammlung hätte ausgehen dürfen (vgl. dazu das Urteil des erkennenden Gerichts vom 15.12.2004 im Verfahren 5 E 1388/04). Jedenfalls kann aber - wie bereits im Rahmen der Prüfung zu § 31 Abs. 1 Nr. 3 HSOG ausgeführt - nicht festgestellt werden, dass außer der lngewahrsamnahme keine andere, weniger einschneidende Maßnahme in Betracht kam, um das präven¬tiv-polizeiliche Ziel der Verhinderung weiterer Übertretungen durchzusetzen. Die Polizeibeamten vor Ort haben offenkundig nicht versucht, den Kläger auf andere Weise an der Rückkehr zum ursprünglichen Versammlungsort zu hindern (was zum Beispiel durch polizeiliche Absperrung des Bereichs vor der Zufahrt zur Air Base möglich gewesen wäre). Zu diesem Zweck sollte die lngewahrsamnahme nach Auffassung des Gerichts auch nicht dienen. Vielmehr sollte der “Abmarsch“ der Versammlungsteilnehmer schnell und störungsfrei gewährleistet werden, kleinere Blockaden auf den Verkehrswegen zum Bahnhof Zeppelinheim wollte man verhindern (so der Bericht des EPHK Schröder vom 15.11.2004). Dass diese befürchteten Blockaden auf dem Weg zum Bahnhof überhaupt Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten - und erst Recht von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit - hätten sein können, ist schon nicht ersichtlich. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die (früheren) Demonstrationsteilnehmer weitere Kundgebungen oder gezielte Blockadeaktionen in diesem Bereich vorhatten, vielmehr spricht alles dafür, dass angesichts der Vielzahl der Personen der Rückweg durchaus schleppend und stockend verlaufen konnte, ohne dass damit von vornherein strafbewehrte Übertretungen verbunden sein mussten. Soweit es tatsächlich zu strafrechtlich relevanten Störungen kam, wurden ausweislich des Polizeiberichtes die jeweiligen Störer festgenommen; die letzte größere Gruppe von ca. 200 Personen wurde auf dem Weg zum Bahnhof von Polizeikräften aufgenommen und zur S-Bahn begleitet. Der Kläger, der ausweislich der Behördenakte gegen ca. 18.00 Uhr von der Zufahrt zur Air Base weggetragen wurde, wurde erst zeitlich danach vom Parkplatz neben dem Gate zum Bahnhof Zeppelinheim verbracht. Er konnte von daher weder zu den sistierten Störern und deren Umfeld noch zu der erwähnten letzten größeren Gruppe von Demonstranten gehören. Dass er konkret vom Parkplatz aus noch irgendwelche Blockadeaktionen geplant haben könnte oder gewalttätig zu werden drohte, ist nicht ersichtlich und war nach allen dem Gericht vorliegenden Unterlagen auch nicht zu befürchten.

Um sicherzugehen, dass der Kläger tatsächlich über den Bahnhof Zeppelinheim die Heimreise antritt und auf dem Weg dorthin keine Übertretungen begehen kann, hätte es des Verbringungsgewahrsams nicht bedurft. Die Ingewahrsamnahme als Freiheitsentziehung kann nur durch gewichtige Gründe gerechtfertigt werden. Sie muss stets das äußerste polizeiliche Mittel zur Verhin¬derung von Schäden oder Gefahren sein und darf weder als Mittel zur Erleichterung polizeilicher Arbeit noch als Sanktions- und Disziplinierungsinstrument angewendet werden (vgl. Lisken/Denninger, F 516 und 529). Sind - wie hier - andere Maßnahmen möglich, so ist die lngewahrsamnahme nicht “unerlässlich“. Der Kläger hätte, ebenso wie die Personen und Personengruppen vor ihm, zum Bahnhof begleitet werden können. Die dadurch eventuell eintretenden Behinderungen für den fließenden Verkehr sind als vorübergehend und von der Allgemeinheit grundsätzlich hinzunehmen einzustufen. Sie rechtfertigen jedenfalls nicht einen so einschneidenden Eingriff in die Freiheitsrechte des Einzelnen. Auch eine Verkehrsumleitung und damit eine Sicherung der Route zum Bahnhof Zeppelinheim hätte als geringerer Eingriff ausgereicht, um die polizeilichen Ziele zu erreichen.

Stellt sich nach alledem die lngewahrsamnahme als unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt rechtswidrig dar, so kann dafür auch keine Kostenerstattung verlangt werden. Der angefochtene Kostenbescheid ist als rechtswidrig mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO aufzuheben.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.